Literatur: Anonyme Normalkoholiker

Ein absurdes Plädoyer für den Wert absurder Literatur.

„Gerd, zum Beispiel, erinnerst du dich an sie?“
(Karl Ove Knausgård)

Dem eigenen Text ein Fremdzitat vorauszuschicken, ist ein unheimlich prätentiöser Akt. Noch prätentiöser wäre es allerdings, obigen Norwegerich jeglichen (zumindest offensichtlichen) Zusammenhangs mit dem nun Folgenden zu entheben:

Unseren Alltag beherrschen Physie, Chymie und Bioloch bzw. Banalität, Plattheit und Stumpf. Da die meisten von uns nichts anderes als Zähneputz-Betriebsfeier-Verliebtverlobtverheirat-Kindergarten-Haushalt-Käffchen sind, neigen wir brav im eigenen Hyperrealismus Köchelnden entsprechend dazu, unsere Kunst als Ausweitung der Krampfzone zu begreifen, indem wir ihr Beziehungsstress, Arbeitsstress, Seinsstress (Wut, Liebe, Krankheit, Kralala, Idiotod, Circle-of-Lifeness etc.) aufoktrophieren. Wer wen, wer mit wem, Familienverhältnisse sind sehr wichtig … Diese Problematik des Normalitätsdiktats hat Gion Cavelty in Endlich Nichtleser (2000), seiner satirischen Abrechnung (auch wieder so eine Vokabel) mit der Nemesis Mimesis, genauer Buchkultur, laserbehandelt und einige lochgenaue Persiflagen typischer Gähniestreiche zusammengetragen:

Ausbrechen will Ines, ausbrechen, koste es, was es wolle. Ausbrechen aus ihrer Rolle als Mutter und Ehefrau, da anknüpfen, wo sie vor Jahren den Faden verloren hat: als junge Tierpsychologin. Aber erst durch die Freundschaft mit ihrer schrulligen Nachbarin Trixie erfährt Ines’ Leben eine wirkliche Wendung. Eine packende Geschichte, von der man nicht genug kriegt! ∞ Margherita Conobbi-Robbiani, frustrierte Komponistengattin, sucht in der hingebungsvollen Restaurierung ihres Puppenhauses einseitige Erfüllung – bis Doris kommt, die Nachbarin mit esoterischem Einschlag. Ihr Erscheinen hat bleibenden Einfluss auf Margheritas Privatleben. Ein Feuerwerk liebevoll-ironischer Pointen, bestens geeignet für verregnete Nachmittage! ∞ Eine Tessiner Legende aus längst vergangenen Tagen reißt drei junge Menschen in ihren Sog: die sensible Frida, ihre Freundin Petra und den blinden Jean-Baptiste. Langsam entschlüsseln sie das Rätsel um die Zauberin Gwendolyn, die vor langer Zeit eine Frau aus Blumen schuf. Großartig und mit einem ausgeprägten Sinn für Verdichtung! ∞ Johanna wollte keine von diesen Jungmüttern werden, die das Kind mit dem Bad ausschütten, sondern alles ganz entspannt angehen. Nur leider hält Klein Lottchen nichts davon. Sie bringt ihre Mutter auf Trab und ist die Einzige, die gelassen in die Zukunft blickt. Meisterlich! ∞ Der junge Mediziner Andreas kehrt nach Jahren in sein Heimatstädtchen in Arizona zurück. Es liegt in der dramatischen Landschaft von Amerikas Südwesten und ist ein Schauplatz voller Mythen und Träume, an dem Andreas das Herz der schönen Navajo-Indianerin Colatupa erobert, die ihn lehrt, wie Tiere träumen. So spannend, wie nur die ganz Großen schreiben können! ∞ Die schöne Patsy und ihr Freund Severin nehmen ihr Leben nach einer traurigen Zeit selbst in die Hand und eröffnen einen Waschsalon. Gut gelaunt und voller Tatendrang entwickelt sich dieser bald zum In-Treff der Stadt. Ein spritziger und zugleich nachdenklicher Unterhaltungsroman. ∞ Im beschaulichen Dörfchen Bloody Springs haben die liebenswerten Bewohner einmal mehr Zeit, ihre scharfen Zungen zu wetzen, kehrt doch Andreas mit seiner Freundin Christiane und einem unehelichen Kind zurück. Christiane ist schon wieder schwanger – von wem? Doch bei allem Spott haben die hilfreichen Nachbarn ihr Herz auf dem rechten Fleck. Ein großer Roman über unerfüllte Liebe, Inzest und Tod. ∞ Ruth, eine Vollwaise, irrt durch Marseille. Gerade vierzig geworden, erfährt die bettelarme Straßenmusikantin durch einen Brief von der Schädelfraktur ihres Sohnes. Mit Witz, Charme und einem Schuss Mondmystik versehen! ∞ Momo, eine kleine blonde Dealerin aus dem Norden der Stadt, haut zu Hause ab. Sie will zu ihrem Großvater. Doch Duff McBugtussle, der alte Bergbauingenieur, ist tot. Sein Zimmergenosse Ulrich setzt sein Lebenswerk fort. Aber wer ist der geheimnisvolle Gonzales? Bald schon tritt Ulrich sein Lebenswerk an – und findet sich in der Klapsmühle wieder. Inspiriert! ∞ Das hat Familie Hirsch gerade noch gefehlt, denkt sich Laura. Moon, das zugelaufene Rehkitz, ist natürlich auch dabei. Und das alles, wo doch ohnehin schon genug Chaos herrscht! Doch wider Erwarten kommt alles gut. Eine liebenswerte Erzählung aus der Steiermark. ∞ Die schöne Ugu Stapleton will einen reichen Mann, der ihr einen Platz in der High Society verschafft. Tatsächlich gelingt ihr der Sprung aufs Karussell der Eitelkeiten, doch bald muss sie feststellen: Reich ist nicht gleich nobel. Unnachahmlich! ∞ Das achtjährige Franziskachen schafft es mühelos, alle Kinderpsychologen zu täuschen. Denn die Kleine schreibt Gedichte, anstatt vernünftig zu diskutieren. Bezaubernd! ∞ In Italien war er eine Sensation: Andreas, der kleine Mann, der selbst erst gerade die Schule beendet hat. Mit unwiderstehlichem Charme trotzt er der Erwachsenenwelt. Leicht erzählt! ∞ Ihr Geschäft ist brutal: Hannah Perry lässt Menschen verschwinden. Ungewöhnlich!

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Fast zwanzig Jahre später hat sich bis auf GBit-LAN, Flüchtlingspornos und Aachener Kampfhubschrauber zum Selberprinten nicht viel verändert. Autoren wie Eugen Egner hauen nach wie vor Abwegigkeiten heraus, die das Literarische Quartett (zumindest das alte) nicht raffen würde. Bei allem Respekt und sämtlichen Hamsterambitionen zum Trotz war Karaseks Mainstream-Lache nun mal das physiognomische Äquivalent einer Sauklaue. Selbstverständlich darf und will nicht behauptet sein, dass die nun folgenden Synopsenausschnitte aus aktuellen Verlagskatalogen von schlechten Büchern abstammen, zumal ich sie nicht gelesen habe. Es gilt lediglich der Hinweis, dass Gemenschel, strenger Diesseitsglaube und die ewige Wiederkehr der drei bis fünf Grundkonzepte kläglichen Kreativitätsmangel offenbaren. Natürlich ist und bleibt ein Thomas Mann trotz seiner etwa im Vergleich zu Franz Kafka, Michael Cisco oder Eskapistan Wanzman überschaubaren Phantasie ein bedeutender Schriftsteller, der einen erzählerischen Bogen verdammt noch mal zu spannen weiß. Dennoch: Der Horizont ist zu allen Seiten sauklar abgesteckt, Milliarden von Transgressionen scheinen unmöglich, originäre Interessantheit bleibt im Keim stecken:

„Aus dem eigensinnigen, kämpferischen Mädchen […] ist inzwischen eine erwachsene Frau geworden, die immer wieder Wege findet, sich der dörflichen Enge zu entziehen und das Glück im Kleinen zu entdecken.“ ≈ „Da ist Anna, einst Finns Freundin, die jetzt mit Malte zusammen ist.“ ≈ „Der Onkel Josef, der mit nur einem Unterhemd aus Stalingrad zurückkehrte […] Und da ist Christa, im alles entscheidenden Augenblick.“ ≈ „Die Geschichte zweier Brüder.“ ≈ „Einsam trotz der Begegnung mit der Kellnerin Karen haust er in einem Motelzimmer […] und erinnert sich zurück – an seinen Vater, an seine Stiefmutter Marie, an Elsa und seine Geliebte Vanessa […] Ein Happy End für ihn und Elsa scheint möglich …“ ≈ „Er erschafft mit dieser ironischen wie geistreichen doppelten Familiensaga, die spielerisch zwischen der Zarenzeit, der russischen Revolution und dem ‚grauen Niedergang der großen Ideale’ hin- und herspringt, eine neues literarisches Genre […]“ ≈ „Erst 1912 war er aus Tunis nach New York emigriert, der junge Daoud […]“ ≈ „Es ist eine ihrer Affären, die Thibaut schließlich veranlasst, sich endgültig von ihr zu trennen.“ ≈ „Ihr Zusammenleben kippt dann um, als ihr Sohn eine Zuneigung zu seinem jungen Freund zeigt.“ ≈ „Menschen treffen und faszinieren einander, lieben, verletzten und verlassen einander. Tränen werden vergossen, neue Geliebte kommen, die vergangenen erscheinen im Traum.“ ≈ „Protagonistinnen des Bandes sind Frauen von verschiedenem Alter und gesellschaftlichem Stand […]“ ≈ „Sie hat Kunstgeschichte studiert, aber nun arbeitet sie im Kunstmuseum als Aufsicht ohne Festanstellung. Ihren Freund hat sie eben verlassen. Dann trifft sie eine neue Liebe, aber schreckt davor nicht zurück.“ ≈ „Sie wird eine Rolle spielen in seinem Leben, das weiß sie: die glamouröse Hauptrolle, neu besetzt.“ ≈ „Sigmund heiratet Maria, die Tochter des Hoteliers […], mit der er vor seiner Flucht nach England aufgewachsen ist.“ ≈ „Und wieso hat er den Kontakt zum Bruder verloren?“ ≈ „Vor ein paar Jahren haben die Hormone von Jeneke angefangen, Polka zu tanzen. Sie ist auf dem besten Weg, eine Frau zu werden. Aber leicht ist das nicht, denn Jeneke hat Down-Syndrom.“ ≈ „Wir erleben einen erzählerischen Sog, ein Rauschen größerer Zusammenhänge, menschliche Gemeinschaften, nebeneinander, gegeneinander, aneinander vorbei und dann wieder harmonisch in gelungener Verknüpfung unterschiedlicher Lebensentwürfe.“ ≈ „Zuvor muss er bei einer Hochzeit die offiziellen Fotos machen.“

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Wer ausnahmsweise nicht den großen DDR-SDRAM-Roman oder eine zwölf Generationen umspannende Familienchronik des 20. Jahrhunderts (aus der Perspektive einer Wanze) anstrebt, kann vielleicht etwas mit den folgenden Plotvorschlägen anfangen:

Nachdem der talentierte Jungkomiker John „*“ Mulaney mit 80.000 Mitopfern im Kieler Raum eingesperrt war und den Tod seiner beiden besten Freunde überleben musste, wird er mit mysteriösen roten Flecken auf dem Rücken seiner wunderbaren Mutter konfrontiert. Um eine abseitige Hypothese zu testen, verbindet er den Fleck mit zwei Linien und schließt so einen imaginären Stromkreis – leider leuchtet der Fleck auf, was nur eines bedeuten kann: Krebs.

Detektiv JORR, der sich nur in speziellen Sonderfällen materialisiert (vgl. Johnny Brombeers One-Way Sherlock), untersucht die gegebenen Vorkommnisse mit Hilfe einer Prionenbombe. Jeder gelöste Fall endet mit einer epochalen Zerstrahlung, wonach JORR wieder ins ultrabescheidene NIXX verschwindet.

Eine Muschel mit Flukku-Hintern muss sich zwischen Ballpups und Sphärenschiss entscheiden und verteilt zu diesem Zweck überall in der Wohnung Experimentalanordnungen: Mal ist es ein Projektil vom Typ „Hallo Pinkeln, hallo Hintern!“, mal eine in den Boden gerammte Wimper.

Durch unermüdlichen Einsatz grandioser Kanonisierungsstrahler greifen Mengenlehrer das Konfliktpotential radikaler Janusfans ab, indem sie kosmische Momente auf Gründungswhiskey-Basis einer Ästhetik der Armut zugutekommen lassen.

Arnold Schwarzenegger, der in der berühmten Afrikator-Trilogie den titelgebenden Rammbot verkörperte, setzt sich unermüdlich für das Erwecken sowjetisch-odessahafter Assoziationen durch Springbrunnen ein.

Der frankokanadische Gesundheitsminister Pierrot kommt eines Morgens nicht ins Büro. Seine Frau, aus unlauteren Gründen als „Mme Etui“ bekannt, macht sich umgehend Sorgen, weil sie das Büro ist.

Ahmed Ng, MD, praktiziert die Handschrift eines frisch geköpften Hühnchens, was einigen unbestätigten Vermutungen zufolge auf die heimlich verbaute Carl-Zeiss-Muskulatur zurückzuführen ist.

Während seiner Dritten Empirischen Phase entdeckt Philosoph Yoyay, dass wir „Zähne putzen, essen, ins Kino ausführen, um nicht zu vergammeln: leben = gammeln“.

Ein an sich harmloses Versehen wird so lange wiederholt, bis es nacheinander die Stufen „empörend“ – „verstörend“ – „ekelhaft“ – „prima“ – „unwirklich“ durchläuft.

Als irrationaler Umweltaktivist war Reinhold der Meinung, dass man Müll nicht unbedingt wegschmeißen muss, sondern irgendwie zu Hause einlagern kann.

Knusperloles Blut-Kaka-Sirup kommt für eine Rückschulung zwar nicht in Frage, dafür ist es rezgar nicht schwer, Quatschvaters Augenbrauen fernzusteuern.

Der Bonner Hauptbahnhof wird als Riesen-MRT enttarnt, die obligatorische Kontrastmittelgabe findet über einen Luftröhrenschnitt statt.

Nach einer missglückten Routine-OP zur Entfesselung überzähliger Tse-Tse-Gene lassen sich Riddley Scotts Augen kniffligerweise beliebig verschieben.

Nach Jahren des Bewusstseins fällt einer alleinerziehenden Mundharmonika auf, dass „Limp Bizkit“ eigentlich ein ganz witziger Bandname ist.

Sternmullvideo-Dealer Serj muss sich seiner Vergangenheit stellen, als Aurora Borealis zur unehelichen Langweile heranreift.

Täglich um Punkt 111 untersucht J-P Sartre mit seinem einen Auge die Fledermaus-MILF.

„Können Sie das warm machen, damit es besser schmeckt?“ (Ästhetik der Armut)

Ein berühmter Übersetzter beißt sich an „a nice set of goggins“ die Zähne aus.

B2-Grammatikbomber auf Dark Synthwave als „geil“ eingestuft.

Fruchtopa.

*Husaren trotteln einander mit dem Maschinenmaul und kontaminieren den Verunstaltung hervor kommen magere Tropos dass die Filme sich nicht äußern hausinterner Dreck der Langen Kolibris hurtet Menschen aus eigener Erfahrung auch muss von Gefühlen die Menschen erklären lassen rigosomen Modimalmodimus wagt kann maximal abstrusieren zumal aus dem Wichtelglauben Nichts im Moment vernichten Schläge Brücken FRUGEN schlagen Momente der Berührung wissen um Verminungsschlogan aus dem leeren Kosmos der Drogenkönige – Komplex Haufen und natürlich Bludébille

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