The sun always shines on tv

The Sun always shines on TV: Master of Ceremony – Fünf Jahre Harald Schmidt Show

Von 2000 bis 2002 schrieb der Medienwissenschaftler Mathias Mertens die sonntägliche Kolumne The sun always shines on TV über das Fernsehen. Heute: Teil 10 (10. Dezember 2000)

Die Harald Schmidt Show ist ein Beispiel dafür, daß Beharrlichkeit zu einer allgemeinen Akzeptanz führt. Aus irgendeinem mystischen Grund hörte nämlich niemand bei SAT1 auf die Kritiker und die schwankende Einschaltquote zu Beginn dieser Sendung, sondern man sendete unbeirrt weiter. Mit dem Effekt, daß die Sendung jetzt unumstritten, etabliert und gefeiert ist, obwohl sie sich grundsätzlich nicht verändert hat. Was lange da ist, kann man sich nicht mehr wegdenken. Dieter Thomas Heck funktioniert so, oder auch Alfred Biolek. Die Harald Schmidt Show ist konzeptuell jedoch nur die größte anzunehmende Freiheit für ihren Moderator, den Solokünstler Harald Schmidt. Es gibt tatsächlich eine Menge Kritikwürdiges in ihr, nämlich alles, was andere in dieser Show machen. Das stärkt allerdings Harald Schmidt, der sich in nun titanenhaft wirkender Qualität davon abheben kann.

Was sonst in dieser Show gemacht wird, bewegt sich auf dem kreativen Niveau einer Siebtklässler-Video-AG. „Bimmel und Bommel“, „Herr Edel“ oder in letzter Zeit der „Abgeordnete Dr. Udo Brömme“, das ist alles nur ein Gestus. Wobei sich hinter dem vornehmen Wort „Gestus“ das verzweifelte Rudern auf der Stelle verbirgt. Alles, was diese Beiträge nämlich zu sagen haben, ist, daß sie etwas sagen wollen und es doch schön wäre, wenn man diese Verzweiflung als Komik anerkennen würde. Es ist ein sehr selbstgefälliger Gestus, der sich als komisch setzt und alle Energien nun darauf verwendet, so lange zu postulieren, daß man komisch ist, bis es resigniert hingenommen wird. Die Zeitschrift Titanic ist ein Vorbild für eine solche Vorgehensweise, in den allermeisten Fällen auch politisches Kabarett.

Als ein solcher Kabarettist hat auch Harald Schmidt angefangen. Beim Fernsehen hat er sich nur beworben, um seinen Marktwert zu erhöhen und somit mehr Publikum in seine Kabarettveranstaltungen zu locken. Gut möglich, daß er den ganzen Klimbim in seiner Sendung auch als Nachwuchsförderung begreift, weil auch er erst durch das Fernsehen die Aufmerksamkeit bekommen hat, die dann in einem Rückkopplungsprozeß auch sein Material und sein Auftreten verändert hat. Denn Kabarett ist es längst nicht mehr, was Harald Schmidt macht. Sondern es ist der virtuose Umgang mit den Mechanismen des Starsystems. Sein Revier ist die Linie zwischen öffentlicher und privater Person. Die verzweifelten Anstrengungen der Stars, ihre öffentliche Person zu kontrollieren, sind das Material, mit dem er jongliert.

Ein Star ist jemand, der sowohl für seine Produkte bekannt wie auch als Person interessant ist. Diese Person wird nun hauptsächlich von anderen konstruiert, mit der tatsächlichen privaten Person hat sie nur entfernt zu tun. Ein Star zerfällt also mindestens in drei Personen: den Künstler, das Image und die Privatperson, die es oft wahrscheinlich gar nicht mehr gibt oder, noch wahrscheinlicher, die so stinklangweilig ist, daß man seine Nachbarn als Freunde unbedingt vorziehen muß. Das Problem ist nun, daß viele Stars entweder versuchen, selbst ihr Image zu beeinflussen und eine Authentizität in das Spiel einzubringen versuchen, die völlig unangebracht ist, oder daß sie sich als Privatperson selbst mit ihrem Image verwechseln. Wenn Susan Stahnke in aller Öffentlichkeit damit kokettiert, daß sie einen Vorvertrag für eine Hollywoodproduktion unterschrieben hat, und dieser Deal dann platzt, dann ist das per se schon lächerlich. Harald Schmidt ist dann nurmehr Chronist. Daß er es auswalzt und alle Klischees, die man mit Hollywoodkarrieren verbindet, so auch die Pornoaufnahmen, um ins Business zu kommen, bemüht, ist nur ein konsequentes Weiterführen dessen, was Frau Stahnke selbst gemacht hat, indem sie sich einem Klischee anzugleichen versuchte.

Daß es Harald Schmidt tatsächlich nur um das Image einer öffentlichen Person geht, zeigt seine völlige Verwandlung, wenn er sich mit seinen Gästen unterhält. Plötzlich sitzt er realen Menschen gegenüber, bei denen er viel zu viel Höflichkeit walten läßt, weil er niemals einer Person zu nahe treten will. Deshalb sind diese Interviews in den meisten Fällen auch so schlecht, denn aus dem brillianten Zyniker, der alleine vor dem Publikum steht, wird plötzlich ein menschelnder Langweiler, wie er einem auf jeder Party begegnen kann. Nur manchmal gelingt ein Gespräch, dazu muß jedoch einer von zwei Fällen eintreten. Fall 1: Ein Gast ist sich seines Images voll bewußt und kokettiert gekonnt damit. In Amerika ist dieser Fall der Normalzustand, deshalb sind die Late Night Shows auch so gut. In der Harald Schmidt Show passiert das jedoch äußerst selten, weil deutsche Prominente sich in ihrer schönen Seele offenbaren wollen, statt eine professionelle Performance abzuliefern. Also bleibt nur noch Fall 2: Harald Schmidt sieht die Gelegenheit, mit seinem eigenen Image zu kokettieren, plötzlich Triebe, Gefühle, Wünsche zu spielen, die seinem Auftreten als professioneller Showmaster zuwiderlaufen. Er konstruiert damit die Komik, die er bei den Stars immer beobachten kann. Darin ist er der Meister. Und darin unterscheidet er sich von seinen Mitarbeitern, die diese Möglichkeit einer Selbstentlarvung in keiner Weise auch nur andeuten.

Dieser konstruierte private Harald Schmidt bricht in solchen Momenten aus, wenn er an seinem Schreibtisch sitzt und sich hingebungsvoll und selbstvergessen seine Schuhe mit einer Maschine putzt, die er dort installiert hat, oder wenn er im Pschyrembel blättert, um sich über seine dermatologische Operation zu informieren. Einen der brillantesten Ausbrüche gab es jedoch mal, als Harald Schmidt noch Verstehen Sie Spaß? moderierte, eine der letzten großen Samstagabendshows mit Riesenbudget und anvisierter Riesenquote. Es gab einen Moment in der Sendung, wo er sich an einen Flügel setzte, um irgendetwas zu spielen. Dazu schaltete er ein Metronom ein, spielte dann jedoch nicht, sondern hörte dem Metronom zu. Das Publikum schaute stumm Harald Schmidt dabei zu, wie er dem Metronom zuhörte. Nach einer ganzen Weile erst tauchte er aus seiner Kontemplation auf, schaute ins Publikum und sagte: „Ist das nicht unglaublich? Jeder Schlag kostet die ARD gerade 15.000 DM.“ Es gab selten etwas Vergleichbares im deutschen Fernsehen zu sehen.

Bildquellen

  • The sun always shines on tv: Mathias Mertens