#MeToo und das Verhältnis zum Kunstwerk

Die Debatte um sexuelle Belästigung in der Filmbranche wirft die Frage auf, ob wir Werke von bösen Menschen ohne schlechtes Gewissen genießen dürfen.

Die #MeToo-Debatte ist in Deutschland angekommen. Wie zuvor in den USA prangert sie dabei auch testosterongesteuerte Verfehlungen in der Filmbranche an.
In vorauseilendem Gehorsam erklären sich die Angeklagten für schuldig und damit sogleich ihre Karriere für beendet. Anstatt sich gegenüber der Judikative zu verantworten, beugen sie sich lieber dem Richterspruch der Masse und ihrer Medien, deren im Schnellverfahren verhängtes Urteil gesellschaftliche Ächtung lautet.
Neben dem schwerwiegenden Imageverlust sowie dem unter gesellschaftlichen Druck selbstauferlegten Berufsverbot geht darüber hinaus eine Diskreditierung bzw. allgemeine Skepsis gegenüber des künstlerischen Schaffens der Beschuldigten mit einher. Für viele Rezipienten scheint es selbstverständlich zu sein, dass wenn sich der Künstler als charakterschwacher Mensch oder gar Verbrecher erweist, sein Werk nicht mehr ohne schlechtes Gewissen genossen werden darf.

Verzerrender Personenkult

Das Schicksal des Werks wird demnach mit dem des Künstlers verknüpft. Doch Künstler und Kunstwerk sind genauso wenig unzertrennlich und miteinander gleichzusetzen wie sie vollkommen autark voneinander sind.
Während die Identifikation zwischen Werk und Künstler bei Romanen, Musik und Malerei noch stärker ausgeprägt sein mag, ist dies speziell beim Film weit weniger der Fall. Der Film ist im Gegensatz zu den zuvor genannten Kunstformen ein Gemeinschaftsprojekt, an dem neben dem Hauptdarsteller ebenso Nebendarsteller, Regisseure, Drehbuchautoren, Kameramänner oder Maskenbildner beteiligt waren. Die Fokussierung auf nur eine Person verkennt die Leistung der anderen Beteiligten.
Das Werk als solches hat keine Straftat begangen. Auch hat die künstlerische Leistung nicht auf einen Schlag an Qualität verloren, weil wir plötzlich etwas aus dem Privatleben des Schauspielers oder Regisseurs wissen, dass uns zuvor unbekannt war. Vielmehr kann dieser Umstand sogar dazu beitragen, dass wir etwa den Film von nun an aus einem anderen Blickwinkel betrachten.

Mit anderen Augen sehen

Beispielsweise wird es Kevin Spacey aller Wahrscheinlichkeit nach nicht vergönnt sein, dass als Schauspiellegende in die Annalen Hollywoods einzugehen und dass seine Filme auch noch Jahrzehnte später als Meisterwerke wertgeschätzt werden. Insbesondere die einst hochgelobte Netflix-Serie House of Cards droht aufgrund der Demission ihres Hauptdarstellers unter dem peinlich berührtem Mantel des Stillschweigens in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden und somit vom kollektiven Gedächtnis vergessen zu werden.
Wurde aber Spaceys Darstellung des Serien-Präsidenten Frank Underwood bereits vor den Enthüllungen zurecht gepriesen, gewinnt sie seit der Bekanntgabe, dass Spacey Männer sexuell belästigt hat, eine weitere Dimension hinzu. Auch der bisexuelle Frank Underwood nutze Sex als Machtinstrument. In den Momenten, in denen Underwood/Spacey die vierte Wand durchbrach und sich direkt an die Zuschauer wandte, wurden wir – so scheint es im Nachhinein – Mitwisser nicht nur eines fiktiven, sondern ebenso eines realen Intriganten.
Wie viel vom Darsteller steckte also tatsächlich in der Figur? Hier scheinen Künstler und Werk miteinander zu verschmelzen und in einigen Aspekten identisch zu sein.

Liebesentzug

Diesbezüglich muss provokant gefragt werden, ob nach dem Prinzip des Method Actings ein privat integerer Schauspieler der Figur Frank Underwood dieselbe Tiefe und Intensität hätte verleihen können wie Kevin Spacey. Ein anderer Mensch hätte ein anderes Kunstwerk hervorgebracht.
Es wäre bedenklich, im Sinne eines gesellschaftlichen Konformitätstwangs zu fordern oder zu erwarten, dass nur noch Personen mit makellosem polizeilichen Führungszeugnis Künstler sein und bleiben dürfen oder das wir jedes mal die Biografie und das Privatleben eines Künstlers recherchieren, bevor wir uns entscheiden, sein Werk gut zu finden.
In unserer kapitalistischen Welt unterstützen wir mit dem Kauf der CD, des Buches oder der Eintrittskarte fürs Kino den entsprechenden Künstler finanziell und wollen ihm damit im Prinzip einen Lebensstil gönnen, dank dem er unbesorgt seiner Kunst nachgehen kann, für die wir so gerne bezahlen. Vielleicht fühlen wir uns moralisch mitverantwortlich, wenn sich die von uns unterstützte Person als Verbrecher entpuppt, weswegen wir ihm unsere Gunst entziehen, wenn wir herausfinden, dass er nicht länger unseren Wertvorstellungen entspricht.

Das Werk an sich

Die beschuldigten Künstler werden vermutlich nie wieder Fuß fassen. Wir haben sie der Möglichkeit beraubt, neue großartige Werke zu schaffen, und uns der Möglichkeit beraubt, diese Werke betrachten zu können. Wir sollten uns nicht auch noch der bereits bestehenden Werke berauben, indem wir uns selbst das Verbot auferlegen, sie aufgrund der Verfehlungen einer einzelnen Person nie wieder konsumieren zu dürfen. Das Werk als solches verliert nicht an Qualität.
Sobald es in die Welt entlassen und der Allgemeinheit geschenkt wurde, sollte das Werk an sich beurteilt werden. Und so schwer es fallen mag, könnte man dabei zu der Erkenntnis gelangen, dass gute Kunst gute Kunst bleibt, auch wenn sie vom einem schlechten Menschen stammt. Die jeweilige Person muss sich vor dem Gesetz verantworten, anderen Menschen seelischen und körperlichen Schmerz zugefügt zu haben, nicht der Film.

Der eigentliche Kampf

Nur weil man die Werke nachträglich verbannt, rehabilitiert man nicht das korrupte System, in dem sie geschaffen wurden, oder macht die begangenen Verbrechen ungeschehen. Vielmehr entsteht sogar der Eindruck, das lediglich einzelne Sündenböcke herausgepickt werden. Mit diesen einzelnen Bauernopfer feiert Hollywood seine Selbstheilungskräfte, obwohl das System, das derartige Machtstrukturen überhaupt zulässt, nicht angegriffen und reformiert wird. Aber vielleicht stehen wir erst am Beginn einer solchen Entwicklung.
Wer die Umstände ihrer Entstehung nicht ausblenden möchte, sollte die Filme straffälliger Personen als Mahnmal für die Verfehlungen der Vergangenheit betrachten, anstatt sie fortan zu missachten. Anstatt die Kunst zu zensieren, sollten wir dafür kämpfen, dass die begangenen Untaten adäquat aufgearbeitet werden und sich nicht systematisch wiederholen können.

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