Michel Houellebecq ist ein Arschloch
Aber ein liebendes. Über Houellebecq, wie er sich in seinem Essay In Schopenhauers Gegenwart präsentiert.
Am lustigsten sind die europäischen Feuilletons, wenn Michel Houellebecq ein neues Buch herausbringt. Letztens, mit Unterwerfung, war es wieder soweit. In dem Roman wird in Frankreich ein Moslem zum Präsidenten gewählt, weil er die einzige Alternative zu Marine Le Pen ist, und beginnt nach der Wahl damit, in Frankreich einen islamistischen Staat einzurichten. Hauptfigur ist ein Professor an der Sorbonne, François, dem die ganze Sache eigentlich egal ist, Hauptsache, er kann weiter jungen Frauen nachsteigen.
Man kann sich vorstellen, wie sehr die europäischen Feuilletons bei so einem gefundenen Fressen vor sich hin geiferten. Rechte Publikationen bejubelten den Mut des Buches, linke nannten es „geschmacklos“, es gab noch ein paar Meta-Moves, die das ganze zu Satire erklären, oder zu einer Dystopie, oder Gesellschaftskritik durch Übertreibung und überhaupt: Ist Fiktion, Literatur, nicht dazu da, genau mit solchen Brandsätzen zu jonglieren? Und ist Houellebecq nun eigentlich rechts oder links? Darf man (ausgedachte) Denkverbote nun denken oder nicht? Vieles, bei weitem nicht alles davon, hat ausgerechnet die F.A.Z. in einem – wirklich schlimm betitelten – Artikel zusammen gefasst, noch mehr ist bei Perlentaucher verlinkt.
Schönes, jährliches Ritual
Aber um Unterwerfung geht es erst mal nicht. Es geht um Houellebecq, von dem man, bei einem Roman mit solchen Inhalt, gar nicht anders kann als ihn sich grinsend mit einem Stock vorzustellen, mit dem er die mehr oder weniger intellektuellen und bürgerlichen Milieus, die sich für Dinge wie Feuilletons interessieren, piesackt und piekst um zu schauen, wie viel Aufmerksamkeit und Schmerzensschreie er aus ihnen herausbekommt. Das war – in unterschiedlichen Intensitäten – bei Ausweitung der Kampfzone, Elementarteilchen, Plattform, Die Möglichkeit einer Insel und Karte und Gebiet nicht anders. Der schelmisch grinsende, sich offiziell unpolitisch und agnotisch gebende, immer wieder absichtlich provozierende Houellebecq und die Reaktionen der Kulturredaktionen sind ein schönes, immer wiederkehrendes Ritual, ein bisschen fühlt es sich – wenn man sich dafür interessiert – nach Heimat an.
Das alles macht Houellebecq als Medien- und Autorenfigur nicht unbedingt sympathisch, und während es wenig über ihn privat zu lesen gibt, lässt sich dann doch mit Sicherheit sagen: In seiner Inszenierung ist Michel Houellebecq ein Arschloch. Und offenbar will er so jemand sein: Jemand der ärgert, der provoziert, um des Provozierens willen, sein Privatleben dabei aber abschottet und sich so geschickt literarische Masken aufsetzt, dass niemand weiß, was der Nicht-öffentliche Houellebecq denkt. Arschloch-Houellebecq als Houellebecq-Figur: Das ist sehr einfach gedacht und entlässt ihn aus der Verantwortung – aber es reicht erst mal.
Bekenntnisse eines Fanboys
In dem ganzen Gekreische um Houellebecq gehen allerdings gerne einmal Bücher und Texte unter. Hauptsächlich seine kleineren Essays, wie der Band Die Welt als Supermarkt (der auch den schönen Essay Jacques Prévert ist ein Arschloch enthält) und in diesem Jahr In Schopenhauers Gegenwart. Es ist ein schmales Buch, kaum 80 Seiten, und seitenweise wird aus Die Welt als Wille und Vorstellung zitiert. Es sind auch – und das überrascht bei Houellebecq – die Bekenntnisse eines Fanboys. Selbstverständlich kann er es nicht lassen, sich selbst mit 26 Jahren als „fertigen Leser“ zu bezeichnen, für den sich alles nur noch wiederholt, und selbstverständlich müssen zwei, drei Seitenhiebe auf die Kultur- und Medienlandschaft sowie, aus irgendeinem Grund, Umweltschützer sein. Aber größtenteils ist In Schopenhauers Gegenwart eine Liebeserklärung an den Philosophen.
„Ich möchte, anhand einiger meiner liebsten Stellen aus Die Welt als Wille und Vorstellung, zeigen, warum Schopenhauers Geisteshaltung in meinen Augen noch immer dazu geeignet ist, allen nachfolgenden Philosophen als Vorbild zu dienen, und warum man – selbst wenn man letztendlich anderer Meinung sein sollte als er – nicht anders kann, als ihm gegenüber tiefe Dankbarkeit zu empfinden.“
Das Buch selbst ist selbstverständlich klug – Houellebecq ist niemand, der sich eine Chance dazu, klug zu sein, entgehen lässt – und Schopenhauer wird gleichzeitig mit dem liebevollen Blick eines Fans sowie den scharfen Werkzeugen eines Intellektuellen auf der Suche nach einer Fingerübung auseinandergenommen. Am Ende bleibt In Schopenhauers Gegenwart genau das: Eine Fingerübung, in der sich manchmal ein wenig vom Fundament der Poetik Houellebecqs andeutet, manchmal als Zustimmung – wenn er mit Schopenhauer den Künstler als kontemplativen Rezipienten von Welt denkt – manchmal als Abgrenzung:
„Schopenhauer oder Comte? Letztlich musste ich mich für eine Seite entscheiden, und so wurde ich schrittweise, begleitet von einer Art ernüchterndem Enthusiasmus, zum Positivisten und hörte sukzessive damit auf, Schopenhauerianer zu sein.“
Am Ende bleibt In Schopenhauers Gegenwart aber ein Stück weit enttäuschend – es gibt keinen Knall, nichts radikales, nichts von dem, was Houellebecq sonst – auch in seinen früheren Essays – auszeichnet.
Unter der Oberfläche der Arschlochhaftigkeit
Aber selbstverständlich ist In Schopenhauers Gegenwart gerade deshalb interessant – es ist ein leises, fast bescheidenes Buch von einem, der ansonsten gerne mal sein Ego von der Größe der europäischen Geistesgeschichte spazieren trägt. Jemand der sich als Arschloch inszeniert und dabei aber die Klaviatur der bürgerlichen Mitte so perfekt spielen kann, dass sie weiß, dass sie gespielt wird – aber nicht anders kann, als mitzumachen. So einer schreibt ein Buch, das nichts ist als der Blick eines Fans, eines Liebenden, letztendlich, der sich vor Kitsch und Überschwang nur dadurch rettet, dass er weiß, dass genau das sein Blick ist. Man kann, im Bewusstsein dessen, einmal versuchen an der Oberfläche der ausgestellten Arschlochhaftigkeit von Houellebecqs Literatur, seiner damit untrennbar verwobenen Inszenierung, zu kratzen – und kann feststellen, dass, bei aller Provokation, Houellebecq immer um Enttäuschungen und Leerstellen kreist. Dass er kein Dystopist ist, sondern ein von Mittelmäßigkeit enttäuschter Utopist, ein, wenn man so will, ins Negative gewendeter Romantiker, der immer mit dem Blick eines Liebenden schreibt – dessen Liebe nicht erwidert wird. Ein Weltverbesserer, der an der Welt scheitert. Houellebecqs Figuren – François aus Unterwerfung, Michel aus Plattform, Michel und Bruno aus Elementarteilchen – leben immer eine Art von persönlicher Utopie, sind immer auf der Suche nach (oft sexueller) Freiheit. Und schaffen es einfach nicht, weil sie sich mit zu wenig oder dem falschen zufrieden geben. Oder nichts besseres finden. Hier lässt sich wieder Houellebecqs Schopenhauer-Interpretation zitieren:
„Nicht ohne Traurigkeit liest man hier von den einfachen Freuden des gewöhnlichen Menschen („trauliches und heiteres Familienleben, niedrige Geselligkeit“), so sehr erscheinen sie unserer Gesellschaft wie ein verlorenes Paradies; selbst die Sinnesfreuden sind immer weniger von Dauer. Und wenn all dieses Glück schwindet, dann sicherlich nicht zugunsten eines „erhöhten Genusses“ geistiger Natur, sondern vielmehr zugunsten jener Errungenschaften, die für Schopenhauer nur Augenwischerei waren: Geld und Ansehen (das, was einer hat, und das, was einer darstellt.“
Das ist immer noch arrogant und von oben herab gedacht – aber dass Houellebecq die Schopenhauer-Lektüre als „tröstlich“ bezeichnet, ist dann vielleicht auch ein Hinweis darauf, dass er endlich jemanden gefunden hat, der klar ausdrückt, was Houellebecq eben auch in seiner Literatur versucht: Sich grundlegenden Werten, man möchte fast sagen: Sich einer grundlegenden Moral jenseits von Oberflächlichkeiten anzunähern. Literarisch zu zeigen, das die Utopien der Oberflächlichkeiten – Religion, Geld, Sex, Macht – scheitern, weil es eben nur um Oberflächlichkeiten geht.
So gelesen ist – auch durch den Hinweis auf den fortschrittsgläubigen, humanistischen und leicht bekloppten Positivismus nach Comte – In Schopenhauers Gegenwart fast schon eine Rechtfertigung, eine verschlüsselte Trotzreaktion auf missverständliche, zu kurz gedachte Interpretationen von Houellebecqs Werk. Als würde er mit Die Welt als Wille und Vorstellung vor den Nasen der Feuilletons wedeln und schreien: „Versteht mich! Na los! Versteht mich doch endlich!“ Arrogant? Ja. Verzweifelt? Auch. Ja, Michel Houellebecq ist ein Arschloch – aber auch ein Utopist, ein Liebender, ein Romantiker, ein klarsichtiger Moralist. Man kann mit ihm einer Meinung sein oder nicht. Man kann seine Provokationen geschmacklos finden oder notwendig. Aber er ist klug genug zu wissen, dass er nur gehört wird, weil er das Arschloch gibt. Und dass selbst das am Ende wieder Medienkritik à la Houellebecq ist.
Weitere Informationen:
Michel Houellebecq: In Schopenhauers Gegenwart
Dumont, 2017
ca. 80 Seiten, 18,00 €
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Bildquellen
- 9783832198824: Buchcover / Pressebild Dumont Verlag
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