Nullzwo – Strom: Ab in die Zukunft
Nullzwo setzen der totgeglaubten deutschsprachigen Indiemusik mit ihrem neuen Album Strom den Defibrillator auf die Haut. Ein ziemlich großartiges Album, findet unser Autor Martin Spieß.
Seit Thees Uhlmann auf solo macht, ist Pause bei Tomte. Und geht man auf die Homepage von Kettcar, klafft unter News ein Loch und bei Shows steht: „derzeit keine shows“.
Das könnte Anlass zum Zaudern oder gar Verzagen sein, wenn es da nicht eine Handvoll Bands gäbe, die – ganz asterixhaft – Widerstand leisten. Die die Indie-Fahne weiter hochhalten. Eine von ihnen heißt Nullzwo. Gestern erschien ihr neues Musikvideo Regen und am 1.7. erscheint ihr zweites Album Strom.
Es ist zwar ein ganz und gar deutscher Impuls, einer guten Nachricht gleich eine schlechte folgen zu lassen, aber gänzlich tränenlos geht es nun mal nicht ab: Nullzwo nämlich, so kann man auf ihrer Homepage lesen, ist „eine deutsche Studioband“. Man wird wohl also als geneigter Strom-Gutfinder wohl nicht in den Genuss kommen, das Album live zu hören.
Enigmatisch, verschachtelt und angedeutet
Das ändert jedoch nichts daran, dass Pitti Weidenhof (Gitarre, Bass) und Dschingo Herrendienst (Gesang, Schlagzeug) mit Strom ein ziemlich großartiges Album aufgenommen haben.
Dass das in der Tradition der bereits erwähnten Altvorderen des Indie steht, hört man vom ersten Moment an. Es geht textlich immer wieder sehr enimagtisch zu auf Strom, vieles ist verschachtelt oder nur angedeutet, und der Hörer ist eingeladen, selbst zu enträtseln. Mit Uhlmann und Wiebusch aber ist es nicht getan – in den besten Momenten meint man tatsächlich, PeterLicht höchst selbst sänge eine seiner verschwurbelten Textzeilen: „Ich bin hier und ich komm von da, als noch Briefe kamen“ heißt es im Song Weiter spielen.
Kein floskelhaftes Fahrwasser, keine kitschigen Klippen
Selbst aber wenn es mal expliziter wird, geraten Nullzwo nicht nur nicht in floskelhaftes Fahrwasser, sie umschiffen kitschige Klippen als täten sie nichts anderes. Das tun sie dann so voller Pathos, dass man sich unwillkürlich die ein oder andere Träne verdrückt: „Ich bin in Scherben gesprungen und ich hab Äpfel gegrillt / ihr habt viel gesungen und ihr habt mir viel erzählt / deine Haare im Wind und Papa fährt / deine Haare im Wind und ich hab zugehört“, heißt es im Closer Eines Tages, der nicht der einzige Song über Verlust und Abschied auf Strom ist.
Musikalisch verzichten Weidenhof und Herrendienst auf jeglichen Klimbim: es gibt kein Klavier, keine Streicher, keine Bläser, keine Chöre. Alles ist eingedampft auf den dem Indierock eigenen Minimalismus. Die Einflüsse aber gehen noch weiter zurück: Hin und wieder erinnert der trockene Rocksound an Kungfu, die von Selig-Gitarrist Christian Neander 1998 gegründete Band, die sich 2003 auflöste.
Elegische Einfachheit und poetischer Pop
Kungfu meinte man auf Nullzwos Debüt Schalter (2013) noch intensiver zu hören. Edgy klang das, polternd und bisweilen punkig. Diese trockenen und ekstatischen Rockmomente, wie etwa der Song Ungleichgewicht, finden sich auch noch auf Strom, und sie sind die schwächsten Momente des Albums. Am stärksten sind sie, wenn sie sich ganz und gar auflösen in elegischer Einfachheit, in poetischem Pop. Wenn sie singen statt schreien, wenn sie die Gitarren zupfen und streichen statt zu schrammeln – was nicht heißt, dass es nicht auch mal laut(er) werden darf. Allgemein aber klingen Nullzwo auf Strom sanfter, bedächtiger, elegischer – und finden so zu einem Sound, der ihnen viel besser steht.
Bei all den Hommagen und Reminiszenzen sind Nullzwo aber keine Ewiggestrigen, die sich stetig wiederholen und immer nur die Ahnen zitieren. Sie sind keine Platzhalter, keine Lückenfüller. Im Gegenteil haben sie, zusammen mit Bands wie Peer oder Herrenmagazin, deutschsprachigem Indierock neues Leben eindefibrilliert. Wenn dabei Platten wie Strom herauskommen, wünscht man sich, dass es ein langes Leben wird.
Nullzwo – Strom (Vinyl ab 1.7.16, andere Medien ca. August)
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