Rant der Stunde: Superfood

Nicht mal in Ruhe Blaubeeren essen kann man noch. Superfood ist schuld. Unser Rant der Stunde.

Es ist ja landläufig bekannt, dass der Kapitalismus in seinem grenzenlosen Vermarktungsfetisch seltsame Blüten treibt. Ich stelle mir vor, wie irgendwo auf einer Chefetage so ein Mister-Burns-Typ die Hände faltet und sich den neusten Pitch von irgendwelchen hippen Vollzeitkapitalisten reinzieht.
„Wasser“, sagt der eine, „komm wir machen Wasser hip. Tut man in edle Glasflaschen und macht es teuer und schon glauben die Leute es sei wertvoll.
„Wie wäre es“, setzt der Nächste noch einen drauf, „wenn wir eine relativ beliebig ausgewählte Gruppe von ganz normalen Nahrungsmitteln ganz neu branden?“
Und plötzlich gibt es Superfood.

Superfood, für alle die sich fragen, was das denn bitte sein soll, ist eine relativ beliebig ausgewählte Gruppe von ganz normalen Nahrungsmitteln, die irgendwelche Marketingschnullis neu gebrandet haben. Blaubeeren zum Beispiel. Oder Spinat. Oder Bohnen. Außerdem Süßkartoffeln und wahrscheinlich auch Ingwer. Superfoods wird nachgesagt, sie hätten eine besonders hohe Dichte an Nährstoffen und Vitaminen und sind deshalb nicht nur gesund, sondern können sogar Krankheiten vorbeugen, wenn nicht gar heilen.

Das Bullshit-ABC der Pflanzenheinis

Tatsächlich ist das Ganze nicht von einem Mister-Burns-Typen erfunden worden, sondern von dem Naturheilkundler und Diätratgeberschreiber Michael van Straten. Er nennt sich auf seiner Website “one of the UK’s most respected medical authors, broadcasters and journalists” und publiziert fröhlich vor sich hin: Pflanzenpillen gegen Migräne, 10 Tage Detox, das Omega 3 Kochbuch – sozusagen das Bullshit ABC der Pflanzenheinis. Immer mit dem Tonfall eines Experten zitiert er Studien, die entweder nicht so eindeutig sind, wie er behauptet oder gar nicht erst auffindbar. Die Kritik der Wissenschaftsgemeinde stört ihn dabei nicht weiter.

Und Marketingschnullis reiben sich die Hände. Denn seit dem Erscheinen des Ratgebers Superfoods 1990 ist jeder Detox-Schönheits-Jungbleib-Yogamatten-Smoothie-Quinoafetischist auf den Zug mit aufgesprungen. Da gibt es Kochbücher wie Superfoods – die Medizin der Zukunft: Wie wir die machtvollsten Heiler unter den Nahrungsmitteln optimal nutzen, geschrieben von David Wolfe, einem bekannten Impfgegner und Verschwörungstheoretiker. Aber auch Jamie Oliver schreibt über Jamies Superfood für jeden Tag:

„Dieses Buch soll Ihnen die Tür zu einem bewussteren Umgang mit Essen öffnen, zu Mahlzeiten, die nicht nur satt machen, Energie liefern und die Laune heben, sondern auch heilende Kräfte haben. Ich möchte Ihnen mehr Wissen über gesunde Ernährung vermitteln und Ihnen zeigen, wie man eine ausgewogene Mahlzeit zusammenstellt“.

Wer trotzdem krank wird hat eben selbst schuld

In reichen Ländern ist das Zeitalter, in dem man gegessen hat, was auf den Tisch kommt lange vorbei. Man isst auch nicht mehr das, was schmeckt. Man trinkt jetzt grüne Kohl-Smoothies mit Açai-Beeren wegen der Antioxidantien und weil man in einer unsicheren Welt lebt, in der Krieg und Krankheiten langsam am Schutzschild seliger Beschränktheit nagen. Der Tod ist unumgänglich, aber mit einer Handvoll Chia-Samen können wir ihm vielleicht doch ein Schnippchen schlagen. Ein Bereich mehr im Leben, den wir der vermeintlich absoluten Kontrolle unterwerfen können, um uns dann schlecht und minderwertig zu fühlen, wenn wir nicht genug Selbstdisziplin haben um jeden Morgen an einer Ingwerknolle zu nuckeln. Wer trotzdem krank wird hat eben selbst schuld.

Es ist kein Zufall, dass Jamie Olivers Superfood Buch „viel Genuss und wenig Reue“ verspricht. Die Nahrungspyramide scheint abgelöst von moralischen Gegensätzen: Auf der einen Seite sind stehen Versuchung, Sünde, Krankheit, Problemzonen, Industrie, Gluten, Depression, Reue. Auf der anderen stehen Superfoods, Antioxidantien, Achtsamkeit, Heilung, Gesundheit, Glück. Jamie Olivers Buch behauptet diese Gegensätze auflösen zu können, aber schlägt doch wieder in dieselbe ideologische Kerbe, die das moralisch Gute vom moralisch Schlechten trennt.
Das Problem ist dabei nicht das gesunde Essen. Salat ist prima und ab und zu eine Banane zu essen ist sicherlich eine gute Idee. Es ist die Intensität mit der Entsagung moralisch überhöht, aber letztlich wieder mit denselben alten Versprechen arbeitet: Konsumier dies und es geht dir gut. Konsumier das und es geht dir schlecht.

Und eigentlich will ich nur wieder in Frieden meine Blaubeeren essen, ohne dass eine Stimme leise flüstert „Superfood“.

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