Ein Aktenschrank

Skeuomorphismus – Des Kaisers neues Lederimitat

Ist unser Hang zum Skeuomorphismus ein verhängnisvoller Weg oder die beste Möglichkeit unsere Arbeitsweisen im Computer abzubilden?

„Skeuomorphismus (aus dem Altgriechischen σκεῦος Behälter, Werkzeug und μορφή Gestalt) ist eine Stilrichtung vor allem im Design, bei der Objekte in ihrer Gestaltung ein anderes Material oder eine Form eines älteren, vertrauten Gegenstandes bis hin zur vollständigen, für den Benutzer verwechselbaren Vollendung nachahmt, ohne dass diese durch ihre Funktion begründet ist. Die dem Skeuomorphismus entgegengesetzte Stilrichtung wird Minimalismus oder flat design genannt.“ – http://de.wikipedia.org/wiki/Skeuomorphismus

Beispiele für Skeuomorphismen wären: E-Book-Reader die physische Seiten simulieren, jede Form von Autoinnenverkleidung aus Plastik mit Maserung oder Software die Uhren mit analogen Ziffern anzeigt.

Ich sage es ja nur ungerne, aber Apple hat mal was Grundlegendes richtig gemacht! Beim Design! Apple verabschiedet sich vermutlich vom Skeuomorphismus! Apples Hardware Chef-Designer Jonathan Ive (der der immer guckt als wolle er einen zerstückeln) designt jetzt auch iOS. Damit ist der seltsame Designclash der relativ verspielten und eben naturalistisch angehauchten iOS-Oberfläche (Grünes Filz am Spieletisch, Braun-Taschenrechner [Wobei der wahrscheinlich bleibt. Jonathan Ive hat einen starken Dieter Rams-Fetisch]) und des recht minimalistischen Hardware-Designs (Dieter Rams-Fetisch) vorbei.
Google hatte übrigens den Skeuomorphismus bei Android (und im Rest seiner Produkte, außer Google Books) relativ früh ausgemerzt. Spätestens Androids Material Design macht wenig Anstalten irgendwas physisches zu simulieren.

Computer wurden, wie alle Technologien, im Beginn mit Metaphern überladen die ihrem Verwendungsumfeld entsprechen. So war der Computer ein Bürogerät. Die Schreibtischplatte ist auch im PC als Desktop vorhanden. Daten stecken in Files und Folders. Wobei in Deutschland ja das Portmaneu der Datenkartei oder kurz Datei enstanden ist. Aber auch hier gibt es Verzeichnisse bzw. Ordner. Wenn man solche Dateien doppelt braucht, dann muss man sie kopieren. Diese Metaphern und daraus folgenden Design-Paradigmen müssen verlassen werden um dem Computer einen weiteren Schritt zu ermöglichen. Das schließt auch das Internet, Tablets und Smartphones ein. Wobei Tablets und Smartphones als Systeme ihre technische Natur besser zu verstecken wissen sich aber gleichzeitig vom Skeuomorphismus entfernen.

Die Grenzen des Skeuomorphismus sind hinderlich, denn die Simulation des physisch Möglichen schränkt einen in der technischen und gestalterischen Freiheit die Software bietet ein. Ich persönlich hätte zum Beispiel gerne eine neue Art von Datei-Abstraktion, die es mir möglich macht Dateien nicht in Verzeichnissen zu sammeln, sondern in so einer Art Projekt. Eher ein Konzept des Workflow-orientierten Arbeitens. Das funktioniert nicht unter einem Paradigma, dass vorsieht, dass ich Order sortiere in denen Dateien rumfliegen.
Hier kommt nun das Gegenargument: Aber das ist doch viel einfacher für die Nutzer, wenn man ihnen ein System so gestaltet, dass es möglichst nah an der Vertrauten Umgebung ist. Stimmt. Aber die Vertraute Umgebung ist bereits der Computer der gerade durch ein Tablet ersetzt wird. Es gibt keine signifikante Gruppe mehr die keinen Internetanschluss oder Computer hat, die sich jemals einen Anschaffen würde. Exemplarisch für diesen Hang zur Simulation des vermeintlich Wahren, Schönen, Guten ist der E-Book-Reader. Hardware und Software kämpfen noch mit ihren vermeintlichen analogen Vätern in dem sie Bücher simulieren. Der gelesene Text wird in physische(!) Seiten gegliedert – welches Maß für eine Seite da angelegt wird weiß man nicht. Man blättert um und illustriert dies wenn möglichst detailreich. Ich kann z.B. nicht wie im Browser einfach runterscrollen. Und schlussendlich stehen meine Dateien als Bücher mit buntem Cover in einem virtuellen Bücherregal. Alle 40000 Stück. Gut das man bei physischen Bücherregalen auch nur auf Suchen tippen muss.

Die Grenzen des Minimalismus sind sichtbar in der Symbolik von Software, denn gerade bei Software hat sich eine starke Symbolkultur entwickelt. Standards haben sich eingebrannt. Das Symbol für Speichern ist eine Diskette, und wird es wohl auch erst mal bleiben, obwohl es technisch wie kulturell völlig überholt ist. So tippt man immer noch auf Telefonhörer-Symbole zum Telefonieren, schiebt Schlösser herum zum entsperren oder hat E-Mails mit Briefumschlägen.

Ich hoffe mal, dass Jonathan Ive den Software-Skeuomorphismus konsequent absägt (Und Samsung mitzieht – „Inspired by Nature“-Telefone… ihr Spinner!), und der Computer – in welcher Form auch immer – einen design-konzeptionellen Sprung macht. Weils so schön ist: Skeuomorphismus. Hihihi!

Dieser Artikel erschien im Sommer 2013 im Blog von Merlin Schumacher und wurde teilweise aktualisiert.

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