Stimme, Stimmen, Stimmungen sind wichtig in und für die Literatur – Nora Gomringer im Interview
Nora Gomringer, hat in ihrem Leben bereits einige beeindruckende Preise abgeräumt. Darunter im letzten Jahr der begehrte Ingeborg Bachmann Preis. Mit verschiedenen Projekten ist die Lyrikerin und Rezitatorin auf den Bühnen dieses Landes unterwegs. Yvonne Franke hat mir ihr gesprochen.
Yvonne Franke: Der eigene Umgang mit der Sprache ist von vielen Einflüssen geprägt. Du bist als Tochter des berühmten Dichters Eugen Gomringer, Vater der konkreten Poesie genannt, aber auch als jüngste Schwester von sieben Brüdern aufgewachsen. Das legt die Vermutung nahe, dass Du Durchsetzungskraft brauchtest. Auch in der Sprache. Hat beides Deine Art sich auszudrücken beeinflusst?
Nora Gomringer: Eigentlich bin ich eher in einen recht schweigsamen Haushalt hineingeboren. Eine ständig lesende Mutter und einen sehr arbeitsamen und lesereisenden Vater sieht man nicht so oft. Wir haben in Wurlitz gewohnt, einem Dorf in der Nähe von Hof. Meine Brüder waren bis auf den Jüngsten schon aus dem Haus und ich hatte einen recht einzelkindlichen Status. Es gab viele Haustiere und ein Dorf voller toller Nachbarn. Auf mich trifft das afrikanische Sprichwort zu: Ein ganzes Dorf erzieht einen Menschen.
YF: Du hast einmal gesagt, dass die Tatsache, dass Du am 11. September 2001 in New York waren, Du hast dort damals ein Praktikum am Leo Baeck Institute absolviert, Deine Texte sprechender und lauter gemacht hat. Was hatte sich durch die Anschläge auf das World Trade Center für Dich persönlich verändert?
NG: Nach dem 11. September 2011 war ich mutiger und befreiter. Ich hatte eine ganze Weile das Fearless Syndrom und hatte mir auch eine chronische Krankheit eingefangen, die mich bis heute begleitet. So hat sich sehr viel verändert. Ich schreibe nur, wenn ich gesund bin. Ich schreibe generell nicht, um mich zu heilen oder ähnliches, muss solche Erlebnisse also anders verarbeiten.
YF: Du bist längere Zeit sehr erfolgreich mit Deinen Texten auf Poetry Slams aufgetreten. Ist eine Rückkehr dorthin für Dich vorstellbar oder bist Du mit 36 nun langsam zu alt dafür?
NG: (lacht) Deshalb habe ich mich schon vor 10 Jahren aus der Szene zurückgezogen. Ich bin der ganzen Bewegung sehr dankbar, ihr immer noch verwandt und sicherlich Teil ihrer Erinnerung, aber Spoken Word, Dichtung und Literatur haben ja zum Glück mehr Bühnen als „nur“ die Slam Bühnen.
YF: Dein Text „Recherche“, mit dem Du 2015 den Bachmann Preis gewonnen hast, fiel unter anderem durch die vielen Stimmen und Perspektiven auf, in denen Du ihn erzählst. Ist das etwas, das Dir besonders liegt?
NG: Das müssen andere beurteilen, aber ja, Stimme, Stimmen, Stimmungen sind wichtig in und für die Literatur. Mir hat meine Mutter viel vorgelesen als ich klein war, außerdem hat sie viele Gedichte auswendig gekonnt und ich hab mir sehr viele selbst beigebracht. Das hat mir oft geholfen im Leben, wenn’s ans Verzweifeln kam.
YF: Deinen Lyrikbänden (zuletzt bei Voland und Quist erschienen: „ Ich bin doch nicht hier, um Sie zu amüsieren.“) liegen immer auch Audio CDs bei, auf denen Du Deine Werke rezitierst. Vertraust Du dem geschriebenen Wort allein nicht?
NG: Das ist eine Entscheidung meines Verlags und ich trage sie gerne mit, denn ich mache gerne Hörproduktionen. Durch das Hören werden wir anders verführt als durch das Lesen. Ein Gedicht ist ja auch ein kleines Echolot, es darf und soll klingen.
YF: Kannst Du es gut ertragen, wenn jemand anderer als Du selbst Deine Texte vorträgt?
NG: Meine Gedichte begegnen mir in den letzten Jahren immer wieder, was mich sehr freut. Bei Theaterproduktionen, im Radio, an Unis und Schulen, bei Liederabenden. Ich gebe zu, das mir nicht alle Umsetzungen gefallen, aber viele. Und es ist auch immer eine Ehre.
YF: Zur Zeit bist Du mit dem Leipziger Schlagzeuger Philipp Scholz und dem gemeinsamen Projekt Wort Drum Dran unterwegs. Worum geht es da?
NG: Scholz und ich treten viel miteinander auf und sind auf den Bühnen im In- und Ausland die, die alte Tradition von Lyrikrezitation und Jazzpercussion neu beleben. Man sagt uns nach, wie seien furchtlos, sehr lustig und bei aller Unterschiedlichkeit sehr eins. Wir fanden immer, dem sei nichts hinzuzufügen.
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