Tarja live: Über Geschmack und Klischee

Die finnische Metalband Tarja hat im Capitol in Hannover gespielt. Martin Spieß ist hingegangen.

Man könnte sagen, Tarja mache Konsensmusik. Man könnte ihre Garderobe thematisieren, die während des Konzerts von Feder-Corsage zu breitärmeligem Zebralook-Oberteil changiert. Man könnte ihre verschüchterte Art, sich affektiert winkend über die Begeisterung des Publikums zu freuen, unprofessionell nennen. Man könnte ranten über eben dieses Publikum, über Kleidungsstil und Übergewicht, über schwarz gefärbte Haare und peinliche Tribal Tattoos – und man könnte darüber spekulieren, wer von ihnen einer Arbeit nachgeht und wer verlustig aller Ambitionen vor sich hin durchs Leben dümpelt.

Man könnte all das tun, und noch viel mehr, nur würde man nicht nur nicht der Veranstaltung gerecht, man würde sich außerdem anmaßen, Menschen für ihren Geschmack zu verurteilen. Was man allerdings tun könnte wäre, das Konzert der finnischen Metalband am Freitag im Capitol in Hannover zum Anlass zu nehmen, über Geschmack zu reden – und inwieweit der im Rahmen einer Konzertkritik stattfinden darf.

Abzuklopfen, ob die Band ihre Sache gut macht

Klar, schreibt man über ein Album (oder auch ein Buch), geht es zu einem nicht geringen Teil auch immer um Geschmack. Der Rezensent kann noch so objektiv zu sein vorgeben, es werden immer seine Sichtweise, seine Vorlieben und Aversionen Eingang in seine Urteile finden. Aber darf man ernstlich über ein Konzert schreiben, von dem man bereits im Vorfeld erwartet, es scheiße zu finden, nur weil man die Musik scheiße findet? Nur weil sie nicht dem persönlichen Geschmack entspricht? Nur weil man Within Temptation und Tristania besser findet als Tarja und Nightwish?

Die Idee hinter einer Konzertkritik kann aber auch nicht sein, nur abzuklopfen, ob die Band ihre Sache gut macht. Tarja kann singen – sie ist ausgebildete Sopranistin – und ihre Musiker beherrschen ihre Instrumente, ganz egal wie generisch ihre Gesten sind, mit denen sie die Musik performieren. Aber geht es nur darum? Muss man außen vorlassen, wie (nach welchem Kriterium auch immer) gut oder schlecht die Musik ist? Ist es wichtiger, dass die Band im Verhältnis zum Eintrittspreis lange genug spielt? Hat es mehr Bedeutung, dass das Publikum Spaß hatte? Ist das nicht deswegen irrelevant, weil gar nichts anderes zu erwarten ist, als dass die Fans die Show gut finden?

Tarja ist Pomp, episch und over the top

Wichtig ist aber auch: es ist egal, ob es übergewichtige, langhaarige Metaller oder Hungerhakenhipster in Röhrenjeans sind: Musik, ob nun live oder auf Platte, ist immer auch Eskapismus. Und Menschen danach einzuteilen, ob sie zu Tarja oder zu Kraftklub gehen, ist Käse.

Heavy Metal hat musikalische Klischees nicht erfunden, bedient sie aber auch 2016 noch gerne und ausgiebig. Tarja ist da keine Ausnahme. Es war Metalbands aber auch immer egal. Musik ist Ekstase, Heavy Metal ist Pomp, episch und over the top, in Musik, Performanz und Klischees. Insofern kann man das Konzert also als gelungen bezeichnen: egal, wie belanglos man die Musik findet – dass Tarja und ihre Band (und entsprechend ihr Publikum) einfach ihr Ding machen, mit Hingabe und Ausdauer – egal, was man von diesem Ding halten mag – das allein ist lobenswert.

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