The sun always shines on TV: Leibschmerzen verursacht – Die diesjährigen Grimme-Preis-Nominierungen
Den Adolf-Grimme-Preis hat Mathias Mertens nie gewonnen. Seine Fernsehkolumne ist trotzdem super. Heute die Nr. #22 (18. März 2001)
Das Ansehen eines Preises hängt nicht von seiner Dotierung oder seinen Verleihern ab, sondern davon, wer diesen Preis schon bekommen hat. Von einem Preis des Deutschen Volkshochschulverbandes würde man wahrscheinlich nichts halten, zu sehr schmeckt es nach Töpfern und Makramee. Der Grimme-Preis allerdings ist der Oscar Deutschlands. Nicht, weil seine Verleihung ebenso glamourös abläuft und auf ebenso großes Interesse stößt, da lugt dann doch seine Volkshochschulseele hervor, wenn er kurz vor Mitternacht auf 3Sat (wo ist das auf der Fernbedienung?) vergeben wird. Sondern wegen der tatsächlichen Auszeichnung, die dieser Preis angesichts der langen Reihe an großartigen Sendungen und Persönlichkeiten bedeutet. Wer den Oscar in Händen hält weiß, daß sich vor ihm Marlon Brando, Bette Davis, Frank Sinatra, Peter Ustinov, Audrey Hepburn oder Elizabeth Taylor schon in dieser Situation befunden haben. Als Träger des Grimme-Preis befindet man sich in Gesellschaft von Vicco von Bülow, Helmut Dietl, Dominik Graf, Dieter Hildebrandt, Hannelore Hoger, Hape Kerkeling, Friedrich Küppersbusch, Hans-Joachim Kulenkampff, Wolfgang Menge, Eberhard Fechner, Edgar Reitz, Harald Schmidt (übrigens sehr viel weniger Frauen als man denken möchte). Das Allerbeste an diesem Preis ist jedoch, daß er auch vom Fernsehzuschauer selbst geprägt wird. Prinzipiell hat jeder das Recht, Fernsehsendungen für den Preis vorzuschlagen (wenn er denn weiß, daß das Adolf-Grimme-Institut in einem Ort namens Marl ansässig ist). Angesichts der Preisträger ist es deshalb fragwürdig, die Zuschauer immer als dämliches Quotenvieh abzustempeln. Qualität setzt sich auch in der breiten Masse durch. Man muß nur etwas Geduld haben.
Dummerweise scheint das Grimme-Institut aber den volksnahen Charakter seines eigenen Preises nicht registriert zu haben. Auf der „Willkommen“-Seite im Internet muß man sich durch mehrere Absätze einer aufgewärmten Debatte aus dem letzten Jahr quälen, als Big Brother die Gemüter erhitzte. Hans Paukens, der Direktor, schaut dazu klug auf einem Photo und legt den Zeigefinger stützend ans Kinn. Roger Willemsen hat einmal geschrieben, diese Pose sei „der röhrende Hirsch unter den Autorenphotos“, man kann statt Autoren auch alle Bildungsbürger einsetzen. Wenn du geschwiegen hättest, Hans Paukens, dann wärst Du souverän geblieben. Die Diskussion um Big Brother war schon bei ihrem Stattfinden lächerlich; richtig peinlich ist es allerdings, nach ihrem Verpuffen noch einmal die Vokabeln „Niveaulosigkeit“, „Kulturverfall“, „Spirale des Banalen“, „Inszenierte Banalität zur Primetime“ zu verwenden, in welcher indirekten Zitatform auch immer, nur um sich dagegen wertvoll abheben zu können.
„Der Adolf Grimme Preis – so meine Prognose – hat noch viele Jahre seine Berechtigung das Gute zu loben und zur Diskussion zu stellen.“ Meint Herr Paukens. Wir fragen uns, wer diesem sich selbst gesetzten Preis die Berechtigung absprechen könnte, zu loben und zu diskutieren. Man kann uns aber auch nicht die Berechtigung absprechen, das Lob des Grimme Preises mal zu diskutieren. In den Nominierungen des Wettbewerbskontingents „Spezial“ für den 37. Adolf Grimme Preises 2001 finden sich nämlich einige Merkwürdigkeiten. Man muß nicht gleich von „Inszenierter Banalität auf dem Höhenkamm“ sprechen, aber fragen wird man mal dürfen. Stephan Faber und Stefan Kauertz sollen beispielsweise für die Idee ausgezeichnet werden, „den Sound des VIVA ZWEI-Formats 2Step […] mit den Bildern von Visualkünstlern […] zu einer kongenialen Einheit zu verschmelzen“. Unsere Frage: Wird das nicht schon immer gemacht? Ist es nicht das Merkmal von Musikfernsehen, daß dort Videoclips laufen, die eine Einheit von Musik und Bild darstellen? Ist das Fernsehen als audiovisuelles Medium nicht überhaupt eine solche Einheit? Zumindest findet sich diese Behauptung als Gemeinplatz in jeder fernsehwissenschaftlichen Einführung. Die rettende Antwort: Ja, so sollte es sein. In den allermeisten Fällen ist Fernsehen jedoch Radio mit einem lustigen, visuellen Rauschen im Hintergrund. Diese Sendung ist eine der wenigen, in denen tatsächlich eine Einheit angestrebt wird.
Einige Nominierungen sind ihrem Charakter nach „Lifetime Achievement Awards“, und die haben ihre prinzipielle Fragwürdigkeit. Hitchcock hat sich mit einem Kasten Champagner besoffen, als ihm der Ehren-Oscar verliehen wurde, weil er wußte, daß jetzt für alle feststand, daß er fertig war. Christiane Hörbiger wird jetzt „für ihre herausragenden Schauspielleistungen“ nominiert, Gisela Graichen „für langanhaltende Verdienste für historische und zeitgenössischen Wissenschaftsdokumentationen“, Hans W. Geißendörfer für die Erfindung der Lindenstraße. Dagegen ist eigentlich nichts zu sagen. Aber warum jetzt? Weil man eben nach Jahren, sogar Jahrzehnten schließlich resignieren mußte und der öffentlichen Wertschätzung Tribut zollt. Wenn es die Internetseiten des Grimme-Instituts vor 15 Jahren schon gegeben hätte, dann hätte man sicherlich auf der „Willkommen“-Seite einen Kommentar des Direktors über die „Spirale des Banalen“ lesen können, die durch die Lindenstraße initiiert wurde. Christiane Hörbiger wäre für ihren Part in Die Guldenburgs noch nicht einmal gerügt worden, so etwas ignoriert man einfach. Und Sendungen wie Schliemanns Erben hätte man mit dem Hinweis abgetan, daß man selbst in deutschen Volkshochschulen substantiellere Wissensvermittlung erleben könne. Oh Zeiten, oh Sitten! Bei Gabi Bauer, übrigens, konnte man nicht so lange warten, um herauszubekommen, ob die Leute sie mögen. Sie bekommt jetzt ihre Babys und ist deshalb als Frau fertig mit dem Beruf. Dieses Jahr ist also die einzige Gelegenheit, sie überhaupt mal zu nominieren.
Einer dieser „Lifetime Achievement Awards“ mutet in seiner Begründung besonders peinlich an. Armin Maiwald ist nominiert „für die Produktion und ständige Weiterentwicklung von Methoden und Techniken zur Herstellung der (monothematischen) Specials in der Sendung mit der Maus“. Mit welchem Text würde Armin Maiwald seinen Zuschauern diese Begründung erklären können? Auch hier hat man Vorbehalte, weil etwas endlich ausgezeichnet werden muß, daß schon alle als gut erkannt und gepflegt haben und das in diesem Jahr seinen 30jährigen Geburtstag feiert. Eine Formulierung wie „ständige Weiterentwicklung“ muß man als eine euphemistische Rationalisierung der eigenen Ignoranz verstehen, man hat ihn deshalb nicht ausgezeichnet, weil man eben warten wollte, wie er es dreißig Jahre lang weiterentwickeln wird. So ist der Eindruck. Allerdings ist Armin Maiwald schon ausgezeichnet worden. Im Jahr 1988. Auch das schon 13 Jahre nach der ersten Sendung, aber immerhin. Fällt dadurch der Vorwurf in sich zusammen? Nein. Denn jetzt erkennt man die Nominierung als den Versuch, an der Popularität der Sendung und ihrer Publicity anläßlich ihres 30. Geburtstages teilzuhaben.
Der Vogel wird allerdings mit der zweifachen Nominierung Günter Jauchs abgeschossen. Man will eben ganz sicher gehen, daß er ihn auch wirklich bekommt. Der Widerspruch allerdings, der sich durch die Begründungen ergibt, ist symptomatisch für die Unbeholfenheit des Bildungsbürgers gegenüber Volkskultur. Einmal nominiert man Günther Jauch „für die Spielleitung von Wer wird Millionär?“. Ohne weitere Begründung. Wobei diese fehlenden Qualitätsattribute vielleicht schon eine subtile Bewertung der Sendung bedeuten. Man kann nicht anders, als ihn moderieren, weil es zur Zeit das Größte im deutschen Fernsehen ist, aber eigentlich ist eine solche Kreuzworträtselshow doch fragwürdig. Stützen kann man diese Hypothese mit der Begründung für die zweite Nominierung. Hier nominiert man nämlich Günther Jauch zusammen mit Harald Schmidt „für ihre gekonnte Parodierung von Wissen und den ironisch-spielerischen Umgang mit Geld beim simulierten Gewinnspiel Wer wird Millionär?“. Wir erinnern uns: Da gab es eine Benefiz-Sendung mit Prominenten, die Geld zum Bau von SOS-Kinderdörfern erspielen wollten. Es gab echte Fragen, es gab echte Antworten, die Sendung lief genauso ab wie immer. Günther Jauch war zwar ironisch, aber das ist er sowieso immer, deshalb ist die Sendung so erfolgreich. Harald Schmidt war weniger ironisch, er nahm seine Aufgabe bierernst und sein Versagen ärgert ihn heute noch. Die Wahrheit, daß es sich hierbei um eine „Parodierung von Wissen“ in einem „simulierten Gewinnspiel“ gehandelt habe, muß im Auge des Betrachters Grimme-Institut bzw. Nominierungskommission liegen. Weil einem die Sendung zu trivial ist, empfindet man das (ernst gemeinte) Abfeiern dieser Sendung als eine Parodie. So kompliziert darf man es sich aber nicht machen. (Nebenbei bemerkt: Auch Manuel Andrack spielt nicht den „Part als kongenialer, trocken-überlegter Zu-, Mit- und Gegenspieler für Harald Schmidt“. Erst Harald Schmidt macht ihn dazu. Manuel Andrack ist nichts anderes als der herausgegriffene Zuschauer. Nur ist er immer verfügbar und sträubt sich nicht. Für eine Grimme-Nominierung eigentlich nicht ausreichend.)
Wenn man etwas gut findet, tut man sich immer schwer, das auszudrücken. Verreißen geht viel leichter von der Hand, das wird jede/r Literaturkritiker/in bestätigen. Beim Verriß haben nämlich die Gefühle die Oberhand. Beim Lob wird man viel zu reflektiert, man verklausuliert die eigenen Gefühle, distanziert sich davon und will unbedingt etwas Objektives und Allgemeingültiges produzieren. Man ist verletzlicher, deshalb beginnt man zu überlegen, ob es opportun ist, diese Sache gut zu finden und zu loben, oder ob man nicht angreifbar wird, wenn man es tut. Das Resultat sind solche Begründungen wie die erwähnten. Die Nominierungen machen allerdings ihrer möglichen Preistrophäe alle Ehrungen, von der ihr Schöpfer Otl Aicher folgendes gesagt hat: „Der Entwurf ordnet mehrere spiegelnde, dem Bildschirm ähnliche Flächen so ineinander, daß ein komplexes Spiegelbild entsteht. Die progressive Art der Zuordnung der Flächen kann sowohl für die Technik des Sendens (Relais) verstanden werden, als auch für das Fernsehen an sich, als Mittel der Ausstrahlung / Verbreitung“. Armin Maiwald, übersetzen Sie!
Bildquellen
- The sun always shines on tv: Mathias Mertens