The Sun always shines on TV: Meteorologik – Über die Evokation von Technikbildern
Von 2000 bis 2002 schrieb der Medienwissenschaftler Mathias Mertens die sonntägliche Kolumne The sun always shines on TV über das Fernsehen. Heute: Teil 9 (19. November 2000)
In der dunklen Frühzeit des Wetterberichts sah es aus wie in einem stinknormalen Tagungszentrum. Eine Art Flipchart stand dort herum und bot eine vorgedruckte Deutschlandkarte, auf die gemalt oder geklebt oder schon gedruckt wurde. Davor hielt jemand einen langweiligen Vortrag, in dem er die wesentlichen Punkte einer Entwicklung darstellen wollte. Das paßte durchaus zum Gegenstand, denn das Wetter ist, zumindest in Deutschland, eine verdammt ernste Sache. Wenn die Tagesschau der Gottesdienst des Fernsehens ist, dann ist das Wetter die Predigt. Die ganzen Nachrichten mögen ja interessant sein, man hört sich ja auch die Lesungen aus dem Alten und Neuen Testament an, aber sie sind nur ein stimmungsvolles Rauschen. Das Einzige, was man aber wirklich mitnimmt in den nächsten Tag, ist, wie man sein Leben in allernächster Zukunft ausrichten soll.
Aus dem Wetterbericht eine Show zu machen, wie es in Amerika üblich ist, kam und kommt also in Deutschland nicht in Frage. Die zaghaften Versuche von Jörg Kachelmann im ARD-Frühstücksfernsehen wurden effektiv durch Erfolg unterdrückt. Kaum war die Resonanz nämlich positiv, wurde Kachelmann mit dem gesamten Erwartungsdruck des vorhersagebedürftigen Bundesbürgers so beladen, daß er nicht mehr unbefangen an die Arbeit gehen konnte. Er fing an, seriös zu werden, weihte eine Wetterstation nach der anderen ein und differenzierte die Prognosen immer weiter aus. Mitarbeiter mußten seine eigentliche Arbeit übernehmen, weil er nicht mehr dazu kam. Er mußte Talkshowgast werden, Probemoderator, und schließlich die Reinkarnation von Hans-Joachim Kulenkampf. Heute kann man ihn als ein typisches Burn-Out Opfer im Ostfernsehen besuchen, wo er unrasiert und teilnahmslos ein weiterer Talkmaster unter vielen geworden ist.
https://www.youtube.com/watch?v=l93hTR1nr64
Die Sender standen von Beginn an unter Druck. Weil die Wettervorhersage so wichtig für die Lebensplanung ist, erwartet der Bundesbürger auch bestechende Präzision. Keine Kosten und Mühen dürfen gescheut werden, sonst argwöhnt er, daß dem Vorhersageergebnis womöglich nicht zu trauen ist. Die Geschichte des Wetterberichts ist deshalb eine Geschichte des Graphikdesigns. Je zeitgenössischer etwas aussieht, desto leistungsstärkere Technik vermutet man auch dahinter, was wiederum auf vertrauenswürdigere Ergebnisse schließen läßt. Ob wirklich so viele neue Technik im Laufe der Zeit eingeführt und verwendet wurde, muß man eigentlich bezweifeln. Was soll sich außer der Einführung von Satelliten groß verändert haben? Das sich ständig verändernde Design ließ diese Zweifel aber nicht aufkommen. Daß man Niederschlag immer noch mit Plastikbechern auf dem Balkon mißt, läßt die Wetterkarte nicht mehr vermuten.
Neben dem Graphikdesign zählt allerdings noch die Präsentation. Und hier gibt es gravierende Unterschiede zwischen den Sendern. Während das ZDF sich mit Uwe Wesp über die Jahrzehnte gerettet hat und ihn immer noch wie vor einem Diaprojektor stehen und die Kabelfernbedienung für das nächste Bild drücken läßt, setzte die ARD von jeher auf eine technoide Präsentation die den state of the art reflektieren sollte. Im Deutschen Herbst verdüsterte eine schwarze Landkarte die Republik, auf der sich tricktechnisch animierte Wetterzeichen tummelten, es blitzte stroboskopisch, die Sonne erschien gleißend aus Wolkengetümmel, die Windrose leuchtete feuerrot und drehte sich erratisch, bevor eine Art Seefunkzeichen das Wetter für beendet erklärte. Der Mensch war nur als Stimme zugegen, er hatte sich gewissermaßen in die Maschine verkrochen und sendete von dort dekodierbare Zeichen.
Dann kam der Satellitenfilm. Alles wurde anders. Jetzt setzte man den Zuschauer einem kryptischen, beinahe aleatorisch anmutendem Geschehen aus. Und ließ ihn zunächst damit allein. Hilflos suchten seine Augen die Agglomerationen ab und fanden keinen Anhaltspunkt, was er denn nun morgen anzuziehen hätte. Schließlich kam die Stimme aus der Tiefe der Maschine, die Nebel lüfteten sich und es ergaben sich Formen. Die Wetterkarte in der ihm bekannten Form. Nur daß er sie jetzt als eine ihm hilfreiche Vereinfachung anerkannte und schätzte. Der Satellitenfilm verdeutlichte ihm auf brutale Weise, daß das Meteorologengeschäft doch eine komplizierte und äußerst anspruchsvolle Wissenschaft ist, die nicht jeder machen kann. Nur die ARD war jeden Tag aufs Neue in der Lage, das Chaos zu ordnen und sogar seinen zukünftigen Lauf zu berechnen. Daß es dann doch am nächsten Tag regnete und man ohne Schirm erwischt wurde, konnte passieren, war bestimmt nur ein kleiner Rechenfehler in Hunderttausenden von Gleichungen.
Den momentanen Cutting Edge stellt der Wetterflug dar. Jeden Tag eine andere Computersimulation aus den Lufträumen Deutschlands. Hatte der Satellitenfilm noch indirekt mit Vorhersage zu tun, so ist mit dem Wetterflug die endgültige Emanzipation von der Wissenschaft hin zu einer reinen Technik-Rhetorik vollzogen worden. Denn was kann man diesen Trickfilmchen ablesen? Bestenfalls, daß es um 9 Uhr in Stuttgart bedeckt ist, um 10 Uhr in Kassel regnet, es dann aber um 11 Uhr in Hannover heiter ist. Man weiß allerdings nicht, ob man nicht in Kassel um 10:30 Uhr unter seiner schweren Regenjacke schwitzen oder ob man in Hannover um 12:30 Uhr doch kalt von Schauern erwischt wird. Den Nachmittag in Stuttgart zu planen dürfte auch schwierig werden. Der Wetterflug dient einzig dazu, eine subliminale Botschaft zu versenden. Wie in alten Zeiten soll die ästhetische Perfektion suggerieren, daß zur Erstellung des gesamten Wetterberichts modernste Technik verwendet wurde, er also vertrauenswürdig ist. (Nebenbei löst er auch den Konflikt, der innerhalb der ARD zwischen den Ländersendern ausgetragen wird, welche Städte denn nun auf der Wetterkarte erscheinen dürfen. Jetzt kann jede größere Stadt mindestens einmal in zwei Wochen mitsamt seinen architektonischen Höhepunkten im Wetterbericht erscheinen, ohne daß die Karte unübersichtlich würde.)
https://youtu.be/gzaIMzC0Oas?t=14m50s
Was lernen wir daraus? Daß der kulturkritische Gemeinplatz, unsere Zeit wäre schnellebig, alles hätte eine immer geringere Halbwertszeit und würde in einem sinnlosen Bildergewitter untergehen, falsch ist. Unsere Zeit ist nicht schnellebiger, im Gegenteil. Gerade weil es nichts Neues gibt und alles auf der Stelle tritt, muß man sich immer öfter eine neue Rhetorik ausdenken, um das Unveränderte rezipierbar zu machen. Die Evokation von Technik funktioniert gewissermaßen als Dessous, um den Zuschauer bei der Stange zu halten. Der Wetterbericht läßt sich dabei als Avantgarde begreifen. Äquivalente Formen lassen sich aber überall finden. Die Forschungsgruppe Wahlen, die sich im Studiohintergrund vor einer Batterie von Computern aufgebaut hat, ist bloße journalistische Show. Der „Newscopter“ von N24, der Luftaufnahmen von irgendetwas bietet, ist genauso technisches Ornament wie die Stadionansichten vom Zeppelin bei wichtigen Fußballspielen. Die riesige Touch-Screen bei ran inszeniert die Moderatoren als Rechercheure im computertechnischen Netz und suggeriert dem Zuschauer, daß er, wenn er die Sport1-Homepage besucht, sich dieselben Qualifikationen erarbeitet wie die Menschen im Fernsehen.
Bildquellen
- The sun always shines on tv: Mathias Mertens