The sun always shines on tv

The Sun always shines on TV: res pubertas – Thomas Gottschalk und Wetten Dass!?

Von 2000 bis 2002 schrieb der Medienwissenschaftler Mathias Mertens die sonntägliche Kolumne The sun always shines on TV über das Fernsehen. Heute: Teil 14 (21. Januar 2001)

Die einzige Sendung des deutschen Fernsehens, die sich mit der BILD-Zeitung vergleichen ließe, wäre Wetten dass. Nicht in ihrer sportiven Urform, als Frank Elstner darüber wachte, daß sie titeltreu ausgeführt wurde, sondern in ihrer vergottschalkten Existenz. Als die einzige und immergültige Große Samstagabendshow, die uns verblieben ist. Nicht, daß uns tatsächlich etwas in unserem Leben fehlen würde, wir werden nur immer dann wieder an ritualisierte Familienzusammenrottungen auf der Sitzgarnitur vor Salzgebäck und Bier- bzw. Brauseflaschen erinnert, wenn sich Wetten dass ankündigt. Und dann sind wir eben wieder Heranwachsende/r im Familienverbund, setzen uns leicht schmollend vor den Fernseher, weil wir schon wieder den Abend mit den Alten verbringen müssen und gucken einfach zu. Genauso ist auch die Sendung. Eine ewige Rekonstruktion eines Status Quo. Eine andauernde Erinnerung daran, was man ist und was man nicht geworden ist. Und wie man sich in diesem Nicht-Gewordensein eingerichtet hat. Wie man statt vertikalem Aufstieg ein horizontales Wachstum hingelegt hat. Wie man sich immer noch als Jugendlicher fühlt, dem irgendwann die Welt offenstehen wird. Man muß einfach nur abwarten und seine Zeit auf der Sitzgarnitur absitzen. Die Thomas Gottschalk übrigens auch in Wetten dass eingeführt hat, vorher gab es technoide Hebebühnen; aber so wurde unsere Position der Welt gegenüber gespiegelt.

Ohne Thomas Gottschalk könnte Wetten dass nicht so wirken. Einer der Gründe, warum es mit Wolfgang Lippert nicht funktionierte (aber wirklich nur einer). Denn Thomas Gottschalk ist selbst die Verkörperung dieses Prinzips. Seine Karriere als Showmaster von Telespiele über Na Sowas bis zu Wetten dass war nur unter dieser Prämisse möglich, daß er den Jugendlichen darstellte, der frech und unverblümt daherplapperte, lange Haare und unmögliche Klamotten trug und Rockmusik hörte. Alle diese Attribute waren jedoch in so kompatibler Ausprägung vorhanden, daß man ihn zum Vorzeigen hatte, ohne daß er tatsächlich hätte anecken können. Genauso jugendlich waren wir damals als Jugendliche und imaginieren uns heute noch so. Wir waren so jugendlich, wie unsere elterlichen Rahmenbedingungen es eben zuließen. War man tatsächlich anders, dann wurde man entweder sofort aus der Gesellschaft entfernt, oder man bekommt heute noch eins übergebraten, wie wir gerade an Joschka Fischer beobachten können.

So wie wir inzwischen Speck ansetzen, unsere Meinungen verfestigen, bestimmte Kulturphänomene beginnen abzulehnen, manches nicht mehr intellektuell aufnehmen können, was andere so argumentieren, und sogar den Kanzler gewählt haben, so ist auch die Jugendlichkeit von Thomas Gottschalk eine Lebenslüge und Selbsttäuschung geworden. Unabhängig davon, ob er jemals wirklich jugendlich war, ist es nurmehr ein Postulat, was sich an seinem fortwährenden Erinnern an „seine Zeit“ ablesen läßt. „Seine Zeit“ erwähnt er hauptsächlich in Bezug auf Musik, was für einen ehemaligen Disk-Jockey nicht ungewöhnlich ist. Leute wie Paul McCartney oder Gruppen wie Emerson, Lake and Palmer stammen aus dieser Zeit, deshalb sind sie manchmal in seiner Sendung, das läßt sich noch ungefähr mit den Teenagerjahren des 1950 geborenen verbinden. Aber zu seiner Zeit zählen dann auch Status Quo (bezeichnender Name), Queen, Genesis, und zwar nicht in ihren mehr oder weniger innovativen Anfängen (zumindest in zwei von drei Fällen), sondern in ihren verschlagerten Schwundformen, und jetzt wird Gottschalk immer länger jung. Beim Cover von Burning down the House von den Talking Heads durch Vegas-Leiche Tom Jones und die Sängerin der Cardigans kam dann diese Zeitrechnung völlig durcheinander.

Alles war „seine Zeit“, obwohl sich hier 60er Jahre-Gesang mit 80er Jahre-Songwriting und 90er-Jahre-Wiedergängertum mischten. Aber genauso ist Gottschalk eben auch. „Seine Zeit“ ist alles, was in ein bestimmtes Weltbild hineinpaßt. Als Heranwachsende/r wurde man auch mit allen Gegenwartsphänomenen in Verbindung gebracht; bloß weil man jung war, war es klar, daß man alles, was für und von Jüngeren gemacht wurde, befürwortete. Man konnte noch so energisch auf die eigene Vorliebe für Ton, Steine, Scherben hinweisen, Ich will Spaß von Markus war für Jüngere, also war es in der Wahrnehmung der Eltern das, was man hörte. Dieses Einschlußverfahren praktiziert nun in nachfolgendem Gehorsam auch Gottschalk. Gleichzeitig wird jedoch auch ein Ausschlußverfahren angewendet, denn manches stört dann doch die unbeschwerte Jugendlichkeit. „Ich bin immer dann dafür, in einer Unterhaltungssendung zu karitativen Zwecken aufzurufen, wenn es paßt, wenn man Hoffnung machen kann.“, sagte Gottschalk gestern mit der Mimik von Vito Corleone zu Alfred Biolek (und Bio hampelte dann auch entsprechend fröhlich herum). Richtig. Sonst müßte man Verantwortung für etwas übernehmen, also etwas Bestimmtes sein. Aber wir wollen ja die eingefrorene, ewige Möglichkeit. Also nichts.

https://www.youtube.com/watch?v=beuVI9-t6w8

Jetzt endlich zu dem Vergleich mit der BILD-Zeitung. Genau wie Wetten dass nur deshalb 15 Millionen Zuschauer bekommen kann, weil es sich mit aufs heimische Sofa setzt, so kriegt die BILD nur dann 10 Millionen Leser, wenn sie den Leuten nach dem Maul plappert, bevor diese überhaupt überlegen, das Maul aufzureißen. An diesem Wochende sind BILD und Wetten dass (zum wiederholten Male) ein glückliche Allianz eingegangen. Die Bevölkerung wurde ins Wochenende entlassen mit dem Imperativ: „Sabrina Setlur: Heute abend wird Thomas Gottschalk sie fragen: Kriegst Du ein Kind von Boris?“, woraufhin sie sich aufs Sofa setzte und dem peinlichen Moment entgegenfieberte. Der Moderator kam auch gleich zum Punkt, hakte die Frage ab und machte sich dann während der Sendung fortwährend darüber lustig, indem er alles und jeden fragte, ob ein Kind von Boris unterwegs sei. Außerdem nahm er das unappetitliche Wort „Samenraub“ in den Mund, wiederkäute es, bis es so ausgelutscht war, daß niemand mehr seine Denotation wahrnehmen konnte. Das peinliche Thema wurde so extrem sichtbar gemacht, daß es hinter seiner Erscheinung verschwand. Alle freuten sich. Denn das hätte auf dem Sofa unangenehm werden können. So wie der Götz mal vor einiger Zeit sich sowas von daneben benommen hat. Aber so war es gut. Wissen wollten wir es schon, natürlich, aber nur, damit wir es deshalb vergessen können.


Es ist symptomatisch, daß dieses Wegplappern beim Thema Sexualität zum Tragen kam. Denn Sexualität ist das Thema des Thomas Gottschalk. Als Verkörperung „des“ Jugendlichen im Fernsehen ist das auch nicht verwunderlich, denn für die/den Heranwachsende/n gibt es ja auch nichts anderes. Bei den kleinsten Außenreizen springt die Maschine an, gleichzeitig soll man aber noch nicht so richtig und weiß man auch noch nicht so richtig. Irgendwie ist es peinlich, darüber zu reden, aber der Drang ist so stark. Die beste Strategie für Eltern und Sprößlinge ist deshalb das Lächerlichmachen. Dann ist es raus und wird gleichzeitig so entschärft, daß es einen nicht mehr betrifft. Dieses Lächerlichmachen praktiziert Gottschalk wie kein zweiter. Weil er aber nun schon seit 20 Jahren Jungendlicher sein muß, ist sein Drang ins Unermeßliche gewachsen. Das Dekolleté von Sabrina Setlur (das dann die Montagsausgabe der BILD zieren wird), wird ausgiebig besprochen und sich mit den männlichen Gästen darüber lustig gemacht, daß man die ganze Zeit hineinglotzt. Jedem neuen Gast wird der Platz mit der besten Einsicht in eben diesen Ausschnitt zugewiesen, die anderen müssen weiterrücken, ganz so, als wäre Sabrina Setlur seine beste Stute im Stall, an die die neuen Freier herangeführt werden. Und als Wetteinsatz muß sie sich als Bunny zurechtmachen, auf einem Steg herumlaufen und sich von einem Fremden die Schenkel abtasten lassen. Große Samstagabend-Familienunterhaltung.

Man hat Roger Willemsen vorgeworfen, er würde sich zu sehr an seine weiblichen Gäste ranschmeißen und sie unverhohlen lüstern anflirten. Dabei hatte Willemsen immer einen Tisch zwischen sich und seinen Gästen, Körperkontakt war nie gegeben. Gottschalk sitzt dageben neben Raquel Welch, beschreibt zehnmal hintereinander ihre Kurven, und seine Hand liegt tatsächlich auf ihrem Schenkel und wandert bedrohlich in Richtung Rocksaum. Aber: kein Vorwurf. Gottschalk ist noch nirgendwo als Sexist beschrieben worden. Der Grund? Man sieht ja, was passiert und was nicht. Deshalb glaubt man, den ganzen Akt schon gesehen zu haben und ist beruhigt. Bei der Verbalerotik von Willemsen stellt man sich sehr viel heftigere körperliche Äquivalenzen im Anschluß vor. Und die kann man dann nicht mehr kontrollierend beobachten. Besuch des Freundes/der Freundin war schon immer O.K., solange die Zimmertür aufblieb oder man sogar mit im Wohnzimmer saß. Dann durfte man ruhig knutschen oder sich sogar streicheln. Aber hinter verschlossenen Türen lauert immer die Sünde. Besonders im Fernsehen.

Bildquellen

  • The sun always shines on tv: Mathias Mertens