Twittern im Theater: Bekenntnisse eines Fanboys

Twittern im Theater? Eine gute Idee, findet unser Autor. Aber ähnlich wie an Ben Affleck als Batman muss man sich erst einmal an den Gedanken gewöhnen.

Im Mai 2014 war ich beim Berliner Theatertreffen eingeladen, zusammen mit anderen Theaterkritikern während einer 5stündigen Frank-Castorf-Inszenierung von Louis-Ferdinand Célines Reise ans Ende der Nacht live zum Stück zu twittern. Wir twitterten unter dem Hashtag #ttreise. Eine Zusammenfassung unserer Tweets mit 2, 3 Meinungstexten erschien im Druck und online in der Deutschen Bühne, die Welt legte – kaum drei Wochen später – mit einem Text nach, in dem der Autor beklagt, dass er nicht zwei Sachen gleichzeitig machen kann, und die Idee deshalb doof ist. Auch die Bilanz der anderen zum Twittern im Theater fällt eher negativ aus, weil ich aber ein großer Verfechter dieses Mitmachens bin, schrieb ich hinterher noch diesen Text zu dem Thema für das Theatertreffen-Blog, für den ich in der Wirtschaftswoche ein bisschen was auf die Mütze bekam. (Ich und der Autor diskutierten das dann über Twitter aus). Aktuell ist der Text nach wie vor – die Theaterwelt bewegt sich nur langsam.

Als bekannt wurde, dass Ben Affleck den nächsten Batman spielen soll, war der Aufschrei groß. Während die eine Hälfte des Netzes innerhalb von Sekunden ihren Hass über jedem, der etwas mit dem Film zu tun hatte ausschüttete, dauerte es so ein, zwei Tage, bis sich die ersten Stimmen meldeten, die dazu mahnten doch lieber erstmal abzuwarten, was so draus wird. Was war passiert? Ganz einfach: Fans. Das war passiert. Menschen, die der Meinung waren, “ihrem” Batman könne, dürfe man so etwas nicht antun. Menschen, die sich auskannten, Nerds, in deren Köpfen Batman und Ben Affleck nicht über einander passten. Die, so glaubten sie, sich besser auskannten als diejenigen, die diese Entscheidung getroffen hatten. Die Fans liefen Sturm gegen eine künstlerische Entscheidung, die in ihren Augen eine Art Sakrileg war, die in ihren Augen eine Menge kaputt machte. positiv formuliert: Sie rieben sich daran. Sie taten das laut, öffentlich, unfair, manchmal beleidigend. Hier mein Bekenntnis: Ich bin Louis-Ferdinand Céline Fanboy (wir können trotzdem gerne über seinen intolerablen Antisemitismus diskutieren, aber darum geht es hier nicht). Ich habe ein langes, schwieriges und fruchtbares Verhältnis zur Reise ans Ende der Nacht, und gerade deshalb passe ich – wie Batman-Fans bei Batman – sehr genau darauf auf, was andere Menschen damit anstellen. Genau wie Batman-Fans bin ich der Meinung, das Buch sei ebenso sehr, vielleicht sogar mehr, meins, als das von anderen Leuten. Und, das ist hier das wichtige, ich möchte mich dazu äußern, wenn jemand, nennen wir ihn F. Castorf, etwas damit anstellt. Ich möchte das, was mir da angeboten wird nicht passiv erdulden. Ich will mitmachen.

Der magische Kreis

Es gibt einen Begriff aus der Spieltheorie, der “magische Kreis”, und der ist ganz nützlich, wenn man erklären möchte, was ich mir vorstelle. Der magische Kreis ist ein Ort, innerhalb dessen bestimmte, andere Regeln gelten, ein Brettspiel, ein Spielplatz: Man kann drin sei, dann gelten die Regeln, oder draußen, dann eben nicht. Es ist immer interessant zu sehen, was passiert, wenn Menschen von außen in den magischen Kreis hineindrängen. Wenn Menschen veruschen, sich an einem Spiel zu beteiligen, von sie eigentlich kein Teil sind, aber der Meinung sind, ein Teil sein zu müssen. Hollywood ist traditionell doch etwas undurchlässig, was seine magischen Kreise angeht (abgesehen von Snakes on a Plane, aber das ist eine Geschichte für einen anderen Tag), und so werden wir im nächsten Batman-Film wohl oder übel Ben Affleck erdulden beziehungsweise erleben müssen.

Die Erweiterung des magischen Kreises

Theater ist da ein bisschen durchlässiger, selbst wenn man ¨nur¨ über Theater in der traditionellen Bühnenkonfiguration (oben Bühne, unten Publikum, mehr oder weniger vierte Wand) spricht. Ich habe – und hatte – in dieser Konfiguration immer Möglichkeiten, das innerhalb eines bestimmten Regelwerkes das Spiel zu zu kommentieren, beschränkt mitzumachen, wenn man so will: Burufe, Klatschen, Pfeifen, den Saal verlassen, diese Dinge. Wenn ich in einem Theater sitze, bin ich immer schon Teil eines eigenartig halbdurchlässigen magischen Kreises. Genau wie es aber den Batman-Fans nicht reicht, von ihren beschränkten Möglichkeiten Gebrauch zu machen, genau, wie sie weiter in den magischen Kreis drängen und mehr Möglichkeiten haben wollen, etwas zu verändern oder zumindest weiter, breiter und offener zu kommentieren, wie sie versuchen, den magischen Kreis zu ihren Bedingungen zu erweitern, habe ich das Bedürfnis, meine Möglichkeiten im Theater zu erweitern. Besonders, wenn ich, als Céline-Fanboy, emotional drinstecke, wenn mich nicht nur interessiert, was da passiert, sondern ich Angst davor habe, dass da ein Schlachteplatte serviert werden wird, auf der ein totes Wesen erkenne, das ich einmal geliebt habe.

Mehr Bühne für die Zuschauer

Ich finde es sinnvoll, mich mit einem Smartphone ins Publikum zu setzen: Ich bin nicht mehr innerhalb eines schmalen Regelwerkes dem ausgeliefert, was mir vorgesetzt wird, mit viel zu wenigen Interaktionsmöglichkeiten für das, was ich loswerden will, muss, soll. Es machte für mich eine Menge Sinn, den magischen Kreis, die Spielwiese, zu vergrößern und mir auch ein Stück weit anzueignen. Es geht nicht darum, dass das, was dabei rauskommt, inhaltlich immer zu 100% brilliant ist – Twitter verleitet zur kurzen Pointe, zur Zuspitzung, zum Kurzschluss – es geht nicht darumn, das hier und jetzt eine neue Art der Theaterkritik entsteht. Wenn überhaupt war für mich, als Céline-Fanboy, das alles noch zu kurz, zu elitär gedacht: Nur ein paar Krtiker, die in der letzten Bank lümmeln und versuchen, klug zu sein, das reicht nicht. Was wäre, wenn das Publikum, um das es geht, sich Theater neu aneignet, es neu denkt? Was wäre, wenn jeder mitmachen könnte, wenn irgendwo an der Bühne noch eine Twitter-Wall wäre? Wir reden hier von einer Aneignung von unten, davon, die – von Zeit zu Zeit – doch sehr elitär dahinschreitende Form ¨Theater¨ dem Publikum fast gleichberechtigt zu übergeben. Davon, größere Spielwiesen, größere magische Kreise zu schaffen, in denen mehr möglich ist. In der Schauspieler ind Regisseure nicht präsentieren – sondern zittern müssen, schwitzen müssen, sich das Schweigen des Publikums hart erspielen müssen. Es ist zwar nie eine gute Idee, den Fans alles zu überlassen – wenn es danach ginge, hätten wir niemals Michael Keaton als Batman gesehen, und das war ziemlich klasse – es geht darum, dem Publikum mehr Freiheiten zu geben, sich an der Inszenierung zu reiben, endlich über das Klatschen, das Publikumsgespräch, die wohlgesittete Diskussion beim Pausensekt, über die ganzen etablierten Formen hinaus etwas zu schaffen, das hier und jetzt passiert- öffentlich, unfair, beleidigend, meinetwegen. Aber: Lebendig.

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