Über:Leben: „Viele wissen nicht, wie viel Arbeit in so einem Roman steckt“

Martin Spieß, selbst Künstler, trifft Künstler*innen digital und coronakonform zum Gespräch – über Ängste, Bewältigungsstrategien und Perspektiven. Heute in Über: Leben: die Schriftstellerin Sonja Rüther.

Schon vor der Corona-Pandemie war die Situation der meisten Künstler*innen prekär, das Virus und die mit ihm einhergehenden Veränderungen haben die Lebens- und Arbeitsbedingungen aber noch mal erschwert. Martin Spieß, selbst Künstler, trifft Künstler*innen digital und coronakonform zum Gespräch – über Ängste, Bewältigungsstrategien und Perspektiven. Heute in Über: Leben: Sonja Rüther, 45, Schriftstellerin.

Du hast während der Pandemie drei Bücher veröffentlicht, Sonja: 2020 den Thriller Der Bodyguard und 2021 den Liebesroman Hey June und – unter dem offenen Pseudonym Poppy Lamour – den Erotikroman Fig. Hat die Krise bei dir Kreativität freigesetzt oder wirkt das nur von außen so?

Tatsächlich mache ich seit Jahren nichts anderes als zu schreiben. Die virtuelle Schublade ist randvoll mit Projekten, die noch veröffentlicht werden wollen. Da teilweise Wartezeiten von drei Jahren zwischen Manuskriptabgabe und der Veröffentlichung liegen, wandern einige Projekte erstmal in die Ablage. Aber wenn die Ideen im Kopf sind, wollen die Geschichten auch geschrieben werden.

Wie war und ist es denn innen? Was hat die Pandemie mit dir als Künstlerin gemacht?

Als mein Roman Der Bodyguard im ersten Lockdown erschien, wusste ich, dass es schwer werden würde. Gut ein Jahr später muss ich sagen, dass diese Zeit extrem an die Substanz geht. Inzwischen ist auch der nächste Roman Hey June während des letzten Lockdowns erschienen, und egal, wie emsig man versucht, die begrenzten Möglichkeiten im Internet zu nutzen, es ist schwer, die Leserschaft zu erreichen. Viele wissen nicht, wie viel Arbeit in so einem Roman steckt. Ich liebe jeden einzelnen Arbeitsschritt, meine Figuren wachsen mir ans Herz und es ist jedes Mal ein besonderer Augenblick, wenn das fertige Werk erscheint. Und es ist unglaublich frustrierend, einen Teil der Arbeit nicht leisten zu können – Lesungen, Messebesuche etc. – und dann fürchten zu müssen, dass die Romane keine Beachtung finden.

Aber du schreibst ja weiter, auch mit Pandemie. Ist das Schreiben für dich auch Trotz oder therapeutisch?

Ich könnte sagen: „Ich schreibe, also bin ich.“ Seit meiner Jugend schreibe ich. Ich habe meine Passion zu meinem Beruf gemacht. Sicher ist es manchmal auch therapeutisch oder ich rechne subtil mit irgendetwas oder irgendjemandem ab, wobei in meinen Romanen keine realen Personen als Vorlagen dienen. Alles, was in mir ist, ist das Handwerkszeug, um spannende Handlungen und authentische Figuren zu kreieren. Und ja, wenn ich schreibe, dann fühle ich mich definitiv auch besser. Es ist der erste und einzige Job, für den ich wirklich brenne, ich möchte nie wieder was anderes machen, auch wenn es manchmal verdammt schwer in diesem Geschäft ist.

Wie gehst du mit dieser Schwere um? Ich struggle mit eben dieser Frage, seit ich Künstler bin, und ich habe noch keine gute Antwort darauf gefunden – abgesehen davon, zu akzeptieren, dass die Dinge sind, wie sie sind, und trotz allem weiterzumachen.

Wenn man bedenkt, wie viele Neuerscheinungen es im Jahr gibt, dann wird deutlich, dass es nicht jeder Titel in dem Maße schaffen kann, wie er es vielleicht verdient hätte. Für mich ist jede Veröffentlichung wie ein Lottoschein, weil zum Erfolg in diesem Geschäft eine Menge Glück gehört. Für mich ist Erfolg, wenn es so läuft, dass ich immer weiterschreiben kann und meine Romane andere Menschen erreichen. Ich liebe es, Rezensionen zu lesen, und ich freue mich, wenn ich mit meinen Erzählungen begeistern konnte. Mit dieser Einstellung gehe ich an die Sache heran, das hilft mir.

Und wenn das mal nicht klappt? Was machst du, wenn du mal einen schlechten Tag hast?

Wenn es mich von den Füßen holt, dann hilft nichts. Dann muss ich alles von mir schieben, irgendeine Serie bingen und akzeptieren, dass es mich gerade umgehauen hat. Oder ich flüchte mich in ein Projekt, das gerade überhaupt nicht dran ist, aber zur Stimmung passt.

Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber diese Momente, in denen es mich von den Füßen haut und in denen Akzeptieren und Weitermachen nicht funktionieren, sind wirklich das Schlimmste, zumal ich nicht nur Künstlersorgen, sondern auch noch eine psychische Erkrankung habe. Kommt dann noch eine Pandemie dazu, während der Kulturschaffende völlig alleingelassen werden und ein Sozialleben quasi nicht existent ist, ist es zuweilen schwierig, es durch den Tag zu schaffen.

Kunst zu erschaffen ist meist ein intensiver und mitunter einsamer Prozess. Manchmal fühlt es sich wie ein Marathon an. Man kämpft sich Meter für Meter vorwärts und erreicht das Ziel. Abgekämpft, aber wissend, was für eine Strecke hinter einem liegt und was für eine Leistung es ist, es bis über die Ziellinie geschafft zu haben. Ich denke, das Schlimmste für uns Kunstschaffende ist, wenn niemand am Ziel steht und diese Leistung mit Aufmerksamkeit und Anerkennung würdigt. Seit dieser Pandemie ist die Schwere wie ein Hintergrundrauschen und führt zu einem ständigen Zusammenreißen, Verzweifeln und Weitermachen, aber je länger sie andauert, desto schwieriger wird es, den Mut nicht zu verlieren. Ich weiß nicht, ob ich das Gefühl beschreiben kann, das damit verbunden ist, einen Roman untergehen zu sehen. Es ist, als würden gute Freunde auf der Strecke bleiben, deren Geschichte vielleicht noch nicht zu Ende erzählt ist. Und bevor du das fragst: Ja, ich habe ein sehr enges Verhältnis zu meinen Figuren. Immerhin bin ich für sie verantwortlich. Auf meiner Homepage gibt es sogar eine spoilerfreie Selbsthilfegruppe für sie.

Das finde ich eine ziemlich großartige Idee. Und Stichwort „Idee“: Ich habe 2020 und 2021 für eine Horror-Anthologie Shortstorys geschrieben und da ich in dieser Art Literatur als Autor bisher nicht zu Hause war, war das anfangs eine Herausforderung. Du schreibst neben den bisher erwähnten Genres Thriller, Liebes- und Erotikroman auch noch Fantasy: Fällt es dir leicht, dich in verschiedenen Genres zu bewegen?

Ich liebe es sogar! Jedes Genre birgt seine eigenen Herausforderungen, und mir ist es enorm wichtig, geistig beweglich zu bleiben. Komplett unterschiedliche Geschichten zu schreiben, ist, als würde man von seinem Schaffen immer wieder einen Schritt zurücktreten, um einen neuen Blickwinkel zu finden. Ich könnte mich niemals auf ein einziges Genre festlegen.

Aus eigener Erfahrung – ich schreibe Bücher, mache Musik und Comedy – weiß ich, dass unterschiedliche Betätigungsfelder auch inspirierend sein können. Weil man nicht an eine Sache gefesselt ist. Und wenn es hier nicht weitergeht, dann vielleicht dort.

Genau das. Wenn ich privat Bücher lese, dann möchte ich auch Abwechslung haben. Oder wenn ich Filme sehe. Vor allem aber, wenn ich Musik höre. Meine Playlist ist das reinste Chaos und ich liebe es.

Dann hoffe ich und wünsche dir, dass es hier oder dort, mit oder ohne Pandemie, für dich weitergeht – jetzt erstmal für deinen Erotikroman Fig.

Danke. Für Fig bekomme ich enorm tolles Feedback, was sich angesichts der Zeit, in der wir leben, doppelt gut anfühlt.

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