Karte der Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland

Warum das Löschen der Google Maps Karte von Flüchtlingsunterkünften nichts bringt [2. UPDATE]

Ist es ein Problem, dass Nazis eine Karte aller Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland erstellt haben? Merlin Schumacher ist sich nicht ganz sicher, ob das Problem nicht eher unsere Gesellschaft ist.

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[UPDATE 17. Juli 2015 15:14: Google hat beide Fassungen der Karte entfernt]

Google Maps bietet seit einigen Jahren den Service My Maps an. Mit dessen Hilfe lassen sich problemlos selbst Landkarten stricken. Dabei können bestimmte Kartenpunkte mit Markern sichtbar gemacht werden. Die Daten für die Marker können manuell eingegeben werden, aber auch aus Excel-Tabellen eingelesen und später auch wieder exportiert werden.

Im Moment macht gerade eine My Maps Karte die Runde, in der sehr viele Flüchtlingsheime in Deutschland verzeichnet sind. Im seitlich sichtbaren Beschreibungstext steht, dass dies eine Karte der Aktion Kein Asylantenheim in meiner Nachbarschaft ist. Die ursprüngliche Quelle der Karte scheint diese offensichtlich rechte Website namens Der Dritte Weg zu sein. Das ganze ist also braune Soße. So etwas kann natürlich missbraucht werden um Anschläge auf diese Unterkünfte zu planen. Immerhin hat sich die Anzahl der Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte verdreifacht. An vielen Stellen wird deshalb darauf hingewiesen, man solle die Karte melden und löschen lassen. (Ich persönlich erfuhr von der Karte über Freunde, die einen Facebook-Beitrag der Verschwörungs-Esoteriker von netzfrauen.de teilten)

Seit kurzem gibt es auch noch eine My Maps Karte in der sämtliche Flüchtlingsheime in Deutschland verzeichnet sind. Der seitlich sichtbare Beschreibungstext lässt verlautbaren, dass dies eine Karte der Aktion Helft mit! Helft Menschen in Not! ist. Die ursprüngliche Quelle der Karte ist die Karte von Kein Asylheim in meiner Nachbarschaft und sie scheint im Rahmen dieser Facebook-Diskussion auf der Seite der Süddeutschen Zeitung zu erstellt worden zu sein. Einziger Unterschied zur „braunen“ Karte? Der Beschreibungstext.

Was damit passiert, ist die Frage

Wer jetzt danach ruft, dass diese Karte gelöscht werden muss, der wird einen problematischen Präzedenzfall schaffen. Denn die Daten sind keine Geheimnisse. Auch die Stadt Hamburg bietet eine solche Karte (ideologisch neutraler versteht sich). Die Hamburger Obdachlosenzeitschrift Hinz & Kunz hat eine noch schickere Karte der Flüchtlingsunterkünfte erstellt. Hier lassen sich sogar zukünftige Standorte von Unterkünften einblenden. Die Stadt Berlin bietet auch eine solche Liste. Die Informationen über Standorte von Flüchtlingsheimen sind nur eine Google-Suche entfernt. Was  wer damit macht ist die Frage. Mit einem Brotmesser kann man einen Laib Brot schneiden oder in den Leib des Nachbarn.

Natürlich ist es nicht gut, wenn sich die rechten Pfeifen Karten und Anleitungen basteln um gewalttätig zu sein. Das Löschen dieser Karte wird dagegen aber nicht helfen. Zum einen werden sich Menschen, die solche Gewalt ausüben wollen nicht von einem Social-Media-Hype aufhalten lassen. Und zum anderen müssen wir dann alle Informationen über Flüchtlingsheime löschen und vielleicht gleich noch die Gebäude auf Google StreetView verpixeln. Wenn wir mit dem Löschen der Flüchtlingsheime fertig sind, müssen wir auch die Liste aller Kinderspielplätze löschen, denn auch dort könnten sich Pädophile Informationen holen… usw.. (Mir ist klar, dass man jetzt anmerken kann, dass ja Kinderpornografie auch gelöscht wird. Das ist korrekt und sehr erfolgreich. Kinderpornografie ist aber strafrechtlich relevant. Die Karte nicht).

Tausend Kopien der Karte

Wie hoffentlich inzwischen jeder mitbekommen haben sollte sind Informationen die man einmal ins Internet gestellt hat nicht immer so einfach zu löschen. Der Hype um die Karte dürfte dafür gesorgt haben, dass jeder Nazi zwischen Flensburg und München sich die Kartendaten als Datei exportiert hat. Es gibt jetzt also tausende Kopien dieser Karte – fest in brauner Hand.
All das führt dann schlussendlich (im besten Fall) zur Erkenntnis, dass wir den Nazis die Augen ausstechen müssen. Moment, nein. Das führt dann schlussendlich (im besten Fall) zur Erkenntnis, dass solche Karten nicht das Problem sind, sondern die Nazis und der Umgang mit ihnen. Es braucht mehr Prävention und mehr Sozialarbeit um diese Menschen von der braunen Bahn zu kriegen, denn ob es eine solche Karte gibt oder nicht, wird keinen daran hindern einen Brandsatz auf eine Unterkunft zu werfen. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Bei straffällig gewordenen Menschen wird das als Konzept allgemein akzeptiert. Bei Nazis scheint die Haltung zu sein, dass sie nie wieder aus der Ecke zu holen sind. Dass dem nicht so ist zeigen die Aussteigerprogramme.

Verbote und Löschungen sind eine Praxis, die auch den Nazis immer gut in den Kram passten. Das ist auch eine Richtung, in die unsere freiheitlich-demokratische Gesellschaft gerade gerne schwingt. Die gesellschaftlichen Diskurse um das Internet werden – zumindest in Deutschland – gerne mit einer konservativen Verbotshaltung beendet. Wir müssen uns als Gesellschaft damit auseinandersetzen wie wir mit solchen Situationen – und das hier wird nicht die letzte sein – umgehen. Ich denke, dass das Löschen dieser Karte niemandem hilft und wenn wir konsequent wären, müssten wir, mit den Bedenken die durch die Karte geschürt werden, uns in Zukunft extrem einschränken. Wir müssten jede Information, die missbraucht werden könnte, verstecken. Das wir das nicht können ist klar. Was es braucht ist Anschlagsprävention, Sozialarbeit für Nazis und wenn wir schon so eine latente Pogromstimmung haben: Schutz für die Flüchtlingsunterkünfte. Was wir nicht brauchen ist Energie und Zeitverschwendung für die Löschung einer Karte die längst eh unlöschbar im Äther des Internets versunken ist und die man auch positiv umdeuten kann.

  1. UPDATE: Es wurden wie erwartet Kopien der Karte erstellt und bei MyMaps eingetragen

Bildquellen

  • Karte der Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland: Bildrechte beim Autor