Vorveröffentlichung: Ready. Wie ich mit digitalen Spielen erwachsen wurde

Morgen erscheint der Essay Ready. WIe ich mit digitalen Spielen erwachsen wurde unseres Autors als Hanser Box. Wir veröffentlichen exklusiv einen Ausschnitt.

Unser Autor veröffentlicht morgen einen langen Essay über digitale Spiele als  Hanser Boxdas Buch heißt  Ready. Wie ich mit digitalen Spielen erwachsen wurde und ist eine Erweiterung dieses Textes.  Wir veröffentlichen exklusiv einen kleinen Ausschnitt daraus als Teaser-Trailer. 

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Pling!

Das war die Zeit, in der die Möglichkeiten explodierten. Überall tauchten im Freundeskreis Computer auf, überall Konsolen, überall waren Geräte, mit denen wir unsere Nachmittage verbringen konnten. Das war kurz nach dem C64, lange vor dem Computer ohne Sound, es war das Jahr, in dem ich einen Game Boy bekam.
Ich bin einmal auf der Geburtstagsfeier des Verlages mikrotext zu Gast gewesen, in der Pause spielte ein Musiker namens Nikola Whallon Geige spielte und ließ sich dabei von seinem Game Boy begleiten. Es gibt Spielkassetten – Catridges – dafür, mit denen man sich Songs in diesem speziellen 8bit-Game-Boy-Chiptune-Sound zusammenstoppeln kann. Nicht von Nintendo selbst, sondern als Fanprojekte. Ich weiß nicht, welches Catridge genau Whallon benutzte, die bekanntesten heißen Little Sound DJ und Nanoloop. Sie haben alle nicht besonders viel Speicherplatz. Auf diejenigen, die Whallon benutzte, passten jeweils vielleicht vier Lieder, also musste er sie mitten im Auftritt wechseln. Dafür musste er den Game Boy aus- und wieder einschalten, und jedes Mal, wenn er den Game Boy einschaltete, meldete dieser sich mit jenem Game Boy-Nintendo-Pling!, das durch die Lautsprecher verstärkt laut durch den Raum plingte. Dieser eine Ton erntete jedes Mal, wenn er kam, einen nostalgischen Applaus beim Publikum, und ein Lächeln dazu.
Lieder und Melodien können solche Gefühle problemlos bei mir auslösen, aber außer diesem einzigen Mal habe ich niemals einen einfachen, einzelnen Ton gehört, der mich so effektiv in ein Wurmloch aus Erinnerungen sog und auf der anderen Seite wieder ausspuckte.
Auf der anderen Seite des Wurmloches sitzt ein 11- oder 12jähriger Junge, im Bus, im Auto, manchmal zu Hause, manchmal mit Kopfhörern in den Ohren, manchmal ohne, aber immer den Blick auf den monochromen Mini-Bildschirm seines Game Boy gerichtet. Der Game Boy ist aus transparentem Plastik, man kann hineinsehen, die Schaltungen, Chips und Kabel betrachten, das Jahr muss 1995 sein.
Ein Spiel, an das ich mich besonders erinnere, ist Kirby’s Dreamland, ein Spiel, das mich einsog, vor allem, wenn ich unterwegs war, als Vorspiel zu Orten, an die unsere Reisen, unsere Ausflüge, unsere Wandertage führten. Das war die Zeit, in der ich verlernte, unterwegs einfach aus dem Fenster zu sehen, ich kann das immer noch nicht gut. Stattdessen lernte ich, in kleinere Fenster zu blicken, mich in diese Fenster saugen zu lassen, meine Konzentration auf einen Moment zu richten, der sich immer wiederholte, so lange, bis ich ihn auswendig kannte und die Aufgabe nicht nur erfüllte, sondern geradezu tanzte, sie in einer nuancierten Choreographie bewältigte.

Kirby’s Dreamland war das erste Spiel, dass ich jemals alleine durchspielte, von Anfang bis Ende, das war auf einer Busfahrt, ein Schulausflug, ich weiß nicht mehr genau, wohin, irgendeine Stadt, irgendein Stück Wald. Es wurde schon dunkel, ich war in dem Spiel weiter gekommen als jemals zuvor, im Streiflicht der Straßenlaternen versuchte ich, auf dem Game Boy etwas zu erkennen, in der Lautstärkekulisse ausgelassener Viert- oder Fünftklässler versuchte ich, mich auf den Endgegner zu konzentrieren. Ich spielte gegen das Spiel, aber ich spielte auch gegen die Umstände: Gegen die Lichtverhältnisse, gegen die Ablenkungen. Ich spielte gegen die Zeit: Irgendwann würden wir ankommen, dann würde ich den Game Boy ausschalten müssen, eine Speicherfunktion gab es nicht. Ich verteidigte das Dreamland gegen das Böse, und meinen Augenblick gegen alles, was dort nichts zu suchen hatte, aber im Prinzip war beides eins.
Ich schaffte es, Kirby’s Dreamland durchzuspielen, bevor wir ankamen.  Jahre später schenkte mir meine Freundin einen Game Boy zum Geburtstag. Sie kannte die Geschichte, und legte mir Kirby‘s Dreamland dazu. Als ich das Spiel startete, war da wieder dieses Pling!, das diesen Reflex auslöste, das den Sog in das kleine Fenster einläutete, auf das man sich, gerade, weil der Bildschirm unbeleuchtet ist und nur zwei Farben kennt, mehr konzentrieren muss als auf andere. Ich nahm den Game Boy in den nächsten Wochen überall hin mit, ich spielte auf Bahnfahrten, in Cafés, ich spielte überall, aber ich spielte Kirby’s Dreamland nie wieder durch, obwohl mir meine Choreographie fast automatisch von der Hand ging.
Ich habe nie wieder so intensiv wie zur Zeit der Busfahrt als 11- oder 12-jähriger gespielt, mit dieser Verbissenheit. Ich kann immer noch nicht gut aus Fenstern sehen, aber ich habe auch die Fähigkeit verloren, den Augenblick in diesem anderen kleinen Fenster sehr lange fest zu halten. Ich habe schlicht keine Zeit mehr dafür.
Es ist das Pling!, das mich daran erinnert, was ich mal konnte: Für mich sein, ganz alleine und ununterbrochen für mich das Böse gegen die widrigen Umstände der Welt bekämpfen. Und gewinnen.

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