Wieso Frauen nicht zusammenhalten müssen
Und wieso dieser Titel im Grunde Clickbait ist, denn so einfach ist es auch wieder nicht.
Vor einigen Jahren steckte ich in einer nicht besonders denkwürdigen Gender-Diskussion unter FreundInnen. Wir saßen in einer Göttinger Kellerkneipe und schwankten zwischen ernsthafter Argumentation und Pöbelei, während wir Bierbowle aus dickwandigen Gläsern schlürften. Es war eine jener Diskussionen, bei denen die Standpunkte grade weit genug auseinander liegen, dass dazwischen ein Gespräch entsteht. Eine Konversation auf gemeinsamem Boden also – und zwischendrin tranken wir Schnaps. Wir diskutierten gläserne Decke, Frauenquote, Alltagssexismus, Elternzeit, Geschlechteridentität (männlich, wie weiblich), soziale Konstruktionen. Ein Rundumschlag, aber nichts Besonderes. Der einzige Grund, weshalb ich mich an diesen Abend erinnere, ist eine mir sonst unbekannte junge Frau, die jemand mitgebracht hatte und die nun neben mir saß.
Ich fing irgendein Argument an (keine Ahnung mehr, was es war) und zwar mit den Worten „Meinem Gefühl nach…“ Jäh wurde ich von Daniel unterbrochen. „Toll“, rief er „Die Frauen jetzt wieder mit ihren Gefühlen!“. Ich spielte ein Schluchzen und entgegnete, ich könne einfach nicht rational bleiben, wegen der Hormone. Wir prosteten uns zu, tauschten ein paar Pöbeleien aus und lachten. Die junge Frau neben mir lachte nicht, sondern lehnte sich zu mir herüber. Sie legte mir ihre Hand aufs Knie und sagte leise und ernst: „Keine Sorge, ich leiste dir weiblichen Beistand. Wir Frauen müssen schließlich zusammen halten.“ Ich war so perplex, dass ich mich bedankte und wir die Diskussion fallen ließen.
Der Grund, weshalb ich mich daran erinnere, ist folgender: Ich kenne die Worte, ich kenne die Geste, ich weiß, dass sie gut gemeint ist. Mir war bloß bis dahin nie bewusst, wie wenig ich sie verstehe. Worin genau besteht hier der weibliche Beistand (Mal abgesehen davon, dass ich in der Situation wirklich keinen brauchte)? In der Weiblichkeit? Was heißt das und wieso ist es so wichtig, von welchem Geschlecht dieser Beistand kommt? Wieso müssen „Wir Frauen“ eigentlich „zusammenhalten“?
Imperativ der Unterdrückten
Das ganze Thema könnte mit „Dass Frauen zusammenhalten müssen ist Quatsch, denn wir sind alle Individuen“ abgetan werden. Jeder und Jede für sich allein – es wird schon irgendwie. Aber so einfach ist es dann doch wieder nicht, denn Solidarität ist wichtig. Harsch formuliert ist „Frauen müssen zusammenhalten“ ein Imperativ der Unterdrückten. Er entstammt dem Bewusstsein für eine gesellschaftliche Rangordnung: Man hält zusammen, weil man auf die gegenseitige Unterstützung angewiesen ist. Weil es alleine nicht geht. Weil die Strukturen des Patriarchats stärker sind als eine allein. Spezielle Frauenförderung ist nach wie vor nötig, denn Benachteiligung auf Grund des Geschlechts zeigt sich in vielen Lebensbereichen. Programme zur Förderung von Frauen verdienen Unterstützung, und weil der gesellschaftliche Wandel nur langsam von statten geht, ist es noch immer notwendig Schutzräume zu schaffen, in denen es tatsächlich das gibt, was mich in der Kneipe befremdet hat: Frauen, die einander Beistand leisten.
Grüße von der Stange
Ich fühle mich jedoch gleichzeitig unweigerlich an Grußkartenmotive wie diese hier erinnert. (Übrigens die ersten Google-Treffer für „Frauen zusammenhalten“)
Bei der ersten Karte wird eine Frauengruppe mit Hühnern auf der Stange gleichgesetzt, wegen des Glucken-Verhaltens, nehme ich an. Das ist auch verständlich, denn Frauen sind bekanntlich nur in Gruppen anzutreffen und gackern laut, wenn jemand ihnen Samen vor die Füße wirft. Deshalb müssen wir also zusammenhalten, Mädels. Zwinker. Bei der zweiten Karte hat es die Frau immerhin auf die Ebene eines Säugetieres geschafft. Wenn wir weiter fleißig zusammen halten, dürfen wir vielleicht irgendwann Hosen tragen oder gar arbeiten gehen.
Nichtsdestotrotz ist die Botschaft tief in meinem Gehirn verankert. Wir Frauen müssen zusammenhalten. Wir Frauen müssen zusammenhalten. Wir Frauen müssen zusammenhalten. Es fühlt sich an wie eine moralische Pflicht, die mit dem Besitz einer Vagina und dem Annehmen der gesellschaftlich erwarteten Geschlechterrolle in meine Identität eingeschrieben wurde. Es fühlt sich an, als breche man den heiligen Schwur der Schwesternschaft, wenn man sich nicht daran hält. Ich werde trotzdem das Gefühl nicht los, dass sich die ernsthafte Solidarität irgendwo von ihrem „Zusammenhalten“- Imperativ abgespalten hat. Auf der Postkarte zum Beispiel, die völlig frei von Ironie dafür gedacht ist, dass Frauen sie sich als Bekräftigung hin und her senden. Der Imperativ ist noch da, aber er ist ausgehöhlt, weil man sich im selben Atemzug mit (gackernden) Hennen oder (dummen) Kühen vergleicht.
Überall um uns herum wird dieses „Wir“ benutzt. Nicht in Bezug auf die sozio-ökonomische Stellung von Frauen in der Gesellschaft, sondern auf Verhaltensweisen, die innerhalb des Konstrukts „Wie Frauen eben sind“ funktionieren. Das Frustrierende natürlich: Diese Zuschreibungen sind zu Identitätsbausteinen geworden, sind internalisiert und erzeugen Sätze wie „Hahaha, Mario Barth hat Recht, ich kaufe wirklich viele Handtaschen“. Frauenmagazine propagieren es, als sei das selbstbestimmte Leben hinter ihnen her. Gofeminin, Brigitte oder Freundin posten alle diese kleinen Bilder mit hübscher Schrift, auf denen irgendwas super Cleveres steht. Der kleinste gemeinsame Nenner: Das Klischee.
Dieses „Wir“ sieht dann ungefähr so aus: Wir mögen Schokolade, denken immer ganz viel nach aber manchmal ist uns der Haushalt auch echt egal, weil nur glückliche Mädchen schön sind und wir brauchen keinen Mann, aber er soll uns mit ALL unseren Schwächen lieben, die natürlich keine sind, denn wir sind nun mal einfach so und wenn wir das akzeptieren, dann finden wir auch den Richtigen, der versteht, dass wir nicht „kompliziert“ oder „zickig“ sind, sondern einfach nur „mysteriös“ und „emotionsflexibel“ – oder so ähnlich.
Erniedrigung im Mantel von Empowerment
Diese Sprüche haben die äußere Form von Empowerment, aber sind im Kern Erniedrigungen. Einem Mann zu sagen, er müsse mich nur in den Arm nehmen und wenn das nicht hilft, mit Schokolade bewerfen, ist nicht „süß“ oder „feminin“. Man nimmt sich damit in vorauseilendem Gehorsam die Berechtigung für Wut. Denn die hier propagierte Lösung des Problems liegt ja nicht in der Behebung des Problems, sondern in der Behebung der Emotion – es gab also kein nennenswertes Problem. Man stellt sich selbst als irrational handelnde Furie dar, von der es Abstand zu halten gilt. Man spricht sich die eigene Handlungsfreiheit ab (zum Beispiel selbst zum Kühlschrank zu gehen oder gar das Problem auszudiskutieren). Im Grunde geht es hier, strukturell, um fehlgeschlagene Kommunikation, um ein ungesundes Selbstbild und fehlendes Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Vorgetragen mit einer sassy Deal-With-It-Attitüde und einem „Wir Frauen“ Habitus, was das Ganze als allgemeingültig für alle Frauen deklariert und den Männern als Counterpart ebenso feste Handlungen vorschreibt (Der Umarmer, der Werfer).
Wären das Äußerungen von Typen, könnte man noch sagen: „Arschlöcher, ja, aber wir Frauen halten zusammen.“ Geht aber nicht. Weil eben nicht alle Frauen gleich sind und manche den Chauvinismus selber übernehmen.
Vielleicht wäre das alles leichter erträglich, wenn „Wir Frauen müssen zusammenhalten“ nicht als der Schwur von Schwesternschaft festgeschrieben wäre, weil ich sie nicht als die Eigenen wahrnehmen müsste. In der Praxis ist das ja auch nicht so: Wenn ich in einer Diskussion Müll rede, dann erwarte ich keine Zustimmung von anderen Frauen. Wenn mir allerdings das Wort entzogen wird, auf der Grundlage, dass ich eine Frau bin, dann will und brauche ich (geschlechtsunspezifischen) Beistand. Wenn mir das Wort von einer Frau entzogen wird, auf der Grundlage, dass ich eine Frau bin, dann brauche ich ihn ebenso. Es handelt sich dabei schlicht um ein strukturelles Problem, nicht um mein individuelles (auch wenn es sich anders anfühlt).
Vor ein paar Jahren, in einer Göttinger Kellerkneipe diskutierten wir genau diese strukturellen Probleme, während wir Bierbowle aus dickwandigen Gläsern tranken. Unsere Pöbelei, in der wir die dümmsten Klischees auspackten, war ein Spiel mit dem „Ihr gegen Wir“. Als die junge Frau vom Anfang ungefragt die Zusammenhalts-Karte aus dem Ärmel zog, machte sie Fronten auf, die es vorher nicht gegeben hatte und ich fühlte mich verpflichtet dem Schwesternschwur nachzukommen. Statt mich perplex zu bedanken, hätte ich vielleicht ihre Hand von meinem Knie nehmen können und freundlich sagen: „Hör mal. Ich bin mir gar nicht so sicher, ob es diesen mythischen Bund zwischen „uns Frauen“ überhaupt gibt.“ Vielleicht hätte ich sagen können, dass es mir ein bisschen arrogant vorkommt zu implizieren, dass alle Frauen dieselben Herausforderungen zu überwinden haben und „weibliche Unterstützung“ die Lösung dafür ist. Dass sie und ich als weiße Mittelstands-Kinder mit Hochschulstudium nicht erwarten können, automatisch zu verstehen, welche Hürden Menschen ohne diese Privilegien nehmen müssen – bloß, weil sie auch Frauen sind. Dass mich dieses „Wir Frauen“ abstößt, weil damit Klischees reproduziert werden. Dass ich es als persönlichen Angriff empfinde, wenn mich jemand in diese Klischees mit einschließt. Dass der „Zusammenhalten“-Imperativ, dieses ewige müssen, eine weitere Regel ist, die Frauen zu befolgen haben, damit nicht irgendwer ankommt und sagt „Aber richtige Frauen…“. Dass ich Schokolade essen will, und zwar als Individuum. Dass ich mich für eine gerechtere Gesellschaft engagieren will – und zwar als Mensch.