Wir singen Bumsfallera – Textverständnisprobleme des internationalen Erwachsenenstands – The Sun Always Shines On TV
Sind Sie sich sicher, dass Sie jetzt wirklich „We Are The Champions“ grölen wollen? Lesen Sie doch nochmal das Textheft. (3. März 2002)
Die PISA-Studie hat ja gezeigt, daß es um die Textverständnisfähigkeiten deutscher Schüler nicht so gut bestellt ist. Leider gibt es keine vergleichbare Erhebung unter den längst der Schulbank entwachsenen, verantwortungsvolle Positionen in der Gesellschaft innehabenden und auf die unfähigen Politiker schimpfenden Fernsehglotzer. Denn in dieser Erhebungsgruppe würde Deutschland nicht schlechter abschneiden als seine internationalen Genossen im Ausgebildetsein. Wobei „nicht schlechter“ bedeutet, daß sie alle keine Ahnung haben. Weil man sich leider nicht auf Zahlen berufen kann, müssen allgemein bekannte Erscheinungsformen der Textbenutzung als Beleg für diese These herangezogen werden. Die Gepflogenheit zum Beispiel, nach großen Sportereignissen „We are the Champions“ von Queen zu spielen.
Über die Einfallslosigkeit von Veranstaltern und Fernsehsendern, die schon Sekunden nach dem Abpfiff eines Endspiels den Play-Button drücken, um das Publikum in seinem Jubel sofort ins kollektive Mitgrölen zu kanalisieren, muß man keine Worte verlieren. Das spricht gegen sich genug. Aber dieses Lied überhaupt für einen solchen Anlaß für passend zu halten, darüber sollte man einmal nachdenken. „We are the Champions“ ist in einer nun schon beinahe ein Vierteljahrhundert dauernden Fehlinterpretation zum Synonym für einen Triumphgesang geworden. Kaum einer, der nicht schon einmal im Glücksrausch über den Aufstieg in die Kreisoberliga Freddie Mercurys Worte über den Platz grölte. Dabei ist es, ähnlich wie sein zweieiiger Single-Zwilling „We will rock you“, das genaue Gegenteil eines triumphierenden Brustgetrommels. Bei genauem Hinsehen entpuppt es sich als eine finale Resignation, die durch aufgesetzte Überheblichkeit kaschiert werden soll. Ein sich innerlich Verabschiedethaben, während man noch gute Mine macht, oder wie Gottfried Benn es beschrieben hat: „Ich muß, ich muß im Überschwange / noch einmal vorm Vergehen blühn“.
Das Ich des Textes beginnt mit einer Beschreibung seiner Vergangenheit, in der er damit beschäftigt war, seine Schulden abzustottern und unschuldig eine Gefängnisstrafe abzusitzen. Er erzählt von den Fehlern, die er gemacht hat und schildert sehr drastisch, wie ihm, als er am Boden lag, buchstäblich der Dreck ins Gesicht getreten wurde. Angesichts dieser Aufzählung muß es wie bitterster Zynismus klingen, wenn er kaum zwei Zeilen später in die Welt schreit, daß wir die Sieger seien. Hinzu kommt, daß er ohne Vorbereitung in die erste Person Plural wechselt. Bleibt man in der Triumph-Interpretation, so würde man es als einen pluralis majestatis bezeichnen, das überhebliche Sprechen von sich selbst als Inhalt des Gesamtgebildes. In Zusammenhang mit der Bridge aber, wo resigniert davon gesprochen wird, daß „wir meinen, weitermachen zu müssen“, wird daraus eine Aussage über die condition moderne, das verzweifelte und vergebliche Strampeln aller Menschen im Getriebe der Welt. „Wir sind die Sieger“ läßt sich beinahe orwellsch als Newspeak begreifen, als die Bezeichnung realer Verhältnisse mit ihrem genauen Gegenteil. Krieg ist Frieden, Armut ist Reichtum, Verlierer sind Sieger.
Und selbst wenn man tatsächlich Erfolg haben sollte, ist auch dieser nur ein vergeblicher Aufschub des Scheiterns, wie die zweite Strophe des Liedes andeutet. Als erfahrene Bühnenpersönlichkeit bilanziert das Ich, wie es die ganzen Verbeugungen ihm gegenüber entgegengenommen hat und in endlosen Beifallsstürmen immer wieder vor den Vorhang getreten ist. Glück hat es in diesen Begeisterungsbekundungen allerdings nicht gefunden. Es fühlte sich während der ganzen Zeit alles andere als auf Rosen gebettet, und wie der Daueraufenthalt auf einem Vergnügungsdampfer ist das Leben auch nicht gewesen, obwohl es den Anschein hatte. Stattdessen war der gesamte positive Zuspruch eine ständige Herausforderung, ein Kampf mit der gesamten Menschheit, die ihn in dieser Anerkennung zu erledigen versuchte. Bei diesem übermächtigen, die Marcusesche „repressive Toleranz“ als Waffe führendem Gegner, geht das trotzige „ich werde nicht verlieren“ völlig unter. Im Angesicht der Niederlage verbraucht das Ich sich in einem letzten ironischen Triumphgeheul, um als Märtyrer für eine illusionäre Sache in einem heulenden Gitarrenton zu vergehen.
Unterstützung findet man für diese textimmanente Interpretation, wenn man das produktionsästhetische Umfeld berücksichtigt. Die Platte News of the World von 1977, auf der sich dieses Lied befindet, vereint nämlich eine Reihe von Stücken ähnlicher Tonlage. Schon das bereits erwähnte „We will rock you“, bezeichnenderweise mit „We are the champions“ auf einer Doppel-A-Single vereint, deutet in diese Richtung. Es ist gewissermaßen die Gegenrede. Sprecher dieses Textes ist nicht ein Individuum, sondern das System, dem es sich ergibt. Höhnisch zählt das Wir die verschiedenen Stufen der Auflehnung auf, die es bei Individuum beobachtet hat. Vom aufsässigen Kind über den zornigen jungen Mann bis hin zum renitenten Alten reicht die Schilderung, als Fazit bleibt übrig, das immer dieselbe lächerliche Figur gemacht wird, ob nun Rotz, Blut oder Dreck im Gesicht klebt. Weiterhin finden sich Lieder über die ganzen Träume und Illusionen, die man einst hatte („All dead, all dead“), die eskapistischen Phantasien eines Kneipenkehrers („Spread your wings“), die zynischen Ratschläge an einen prospektiven Straßenkämpfer, offensichtliches Kanonenfutter („Fight from the inside“), die resignative Sozialromantik eines Bankrotteurs („Sleeping on the sidewalk“), den sarkastischen Abgesang auf eine Verflossene („Who needs you“), das Belauern zweier Menschen, die sich nicht vertrauen können („It’s late“), und schließlich das Sich-Ergeben in betäubender Melancholie („My melancholy blues“). In einem solch depressiven Umfeld von einer triumphalen Stimmung bei „We are the champions“ zu sprechen, ist höchst zweifelhaft.
Freddie Mercury muß verbittert vor sich hingelächelt haben, jedesmal wenn sein Abgesang in den Stadien erklang. Ohne es zu merken, machten sie sich alle – Veranstalter, Sportler, Zuschauer – zu dem verblendeten Subjekt des Textes, das sich gerade selbst die Totenrede hält. Aber was soll man auch halten von Leuten, die einen mit „Start“ beschrifteten Knopf drücken, um einen Computer abzuschalten, die ein Computerspiel über eine Grabräuber so aussprechen, als wäre es ein unterbelichteter Schokoriegel, der umbenannt wurde, die freiwillig einen Apostroph einführen, um den in ihrer Sprache sehr einfachen Genitiv zu verkomplizieren, die in „Filmfestivals“ von Privatsendern tatsächlich ein reichhaltiges Angebot sehen und nicht die Not, daß um einen guten Film zu bekommen, sechs schrottige, tausendmal schon wiederholter Schund gekauft werden mußten. Der Umtatata-Rhythmus von „We are the champions“ kriegt sie alle. Beseelt vor sich hinschunkelnd ergeben sie sich unwissend in ihr Schicksal. Schimpfen auf die Unanständigkeit und Gewaltverherrlichung von Rockmusik, erkennen die rigide Moral von Gruppen wie Megadeth nicht, erfreuen sich aber gleichzeitig an so frauenfeindlichen, drogenverherrlichenden und strukturelle Gewalt bestätigenden Machwerken wie „Herzilein“ von den Wildecker Herzbuben (die übrigens auch gleichzeitig noch Werbung für einen cholesterinintensiven Lebenswandel machen, den wir alle über erhöhte Krankenkassenbeiträge bezahlen müssen).
https://www.youtube.com/watch?v=FeCGugzxhc0
Bildquellen
- The sun always shines on tv: Mathias Mertens