Zum ersten Mal Zurück in die Zukunft
Unsere Autorin hat mit 28 zum ersten Mal Zurück in die Zukunft gesehen. Gute Filme, fand sie. Den Hype konnte sie nicht nachvollziehen.
Ohne breitbandigen Zugriff auf einen Fernseher aufzuwachsen ist manchmal hart. Zum Beispiel passiert es dann, dass man mit Ende zwanzig zum ersten Mal Zurück in die Zukunft anschaut. Und einem klar wird, dass Hype hauptsächlich mit Nostalgie zu tun hat.
Boum, c’est le choc: Ich bin 28 Jahre alt und habe gestern zum ersten Mal Zurück in die Zukunft gesehen. Selbstverständlich alle drei Teile, schließlich wurde der 21. Oktober 2015 zelebriert.
Ich bin mir nicht sicher, wie ich den Film als Kind verpasst habe – wahrscheinlich lag es daran, dass ich, bis ich 16 Jahre alt war, weder einen eigenen Fernseher besaß noch auf dem Gerät meiner Eltern schauen durfte, was ich wollte – und danach hauptsächlich MTV und RTLII-Anime-Serien konsumiert habe, sowie Filme, die mir die TV Spielfilm empfahl.
Nach dem Gymnasium begann ich in Hildesheim Kulturwissenschaften zu studieren. Und mir wurde zum ersten Mal bewusst, dass offenbar ein wichtiger Teil meiner Pop-Sozialisation fehlte, weil ich Marty McFly nicht kannte. Allerdings hatte ich paradoxerweise in der Zeit auch nicht das Bedürfnis, Zurück in die Zukunft zu sehen – durch die ständige Präsenz des Films in Gesprächen, Facebook-Profilen und Seminaren hatte ich den Eindruck, schon alles Wichtige zu kennen und die Querverweise aus anderen Medien auf den Film erkennen zu können (Dieses Phänomen betrifft auch andere popkulturelle Produkte der letzten 30-60 Jahre und lässt sich durch ähnliche Erfahrungen meiner Kommilitoninnen verifizieren).
Rote Weste, Hoverboard, Zeitmaschine. Reicht doch.
Was ich also vor dem 21. Oktober 2015 aus zweiter Hand wusste: Marty McFly ist der Protagonist von Zurück in die Zukunft, lebt in den 80ern und trägt eine rote Weste. Es gibt eine Zeitreisemaschine und er muss Probleme mit seinen Eltern lösen. Es gibt ein Hoverboard, dessen Nichtexistenz in regelmäßigen Abständen lamentierend durch die Medien gejagt wird.
Reicht doch, oder?
Nein, reicht natürlich nicht. Dass ich da ein Universum an seltsamen Figuren und aberwitzigen Geschichten verpasst habe, war mir nicht klar. Ich saß gestern sechs Stunden im Kino und habe mich keine Minute gelangweilt. Manchmal musste ich sogar den Arm meines mitgebrachten Sitznachbarn sehr fest drücken, um die Spannung auszuhalten – obwohl ich ahnte, dass die Geschichten nicht anders als gut ausgehen könne. Auch die vielen Details, die Synonym für den Film stehen, waren mir bis dahin – abgesehen vom Hoverboard – völlig entgangen. Hallo, Fluxkompensator und Jaws 19.
Im vollen Kinosaal zwischen ziemlich vielen Bilderbuch-Nerds wurde mir erst klar, warum immerzu die Zukunft aus Zurück in die Zukunft mit der „echten“ Zukunft verglichen wird – weil das Film-Jahr 2015 ganz wunderbar detailreich ausgedacht ist und sich – wichtig – nicht mit politischen Systemen oder Gesellschaftsformen befasst, sondern mit dem, was uns immerzu umgibt und beschäftigt: Filme, Cafés, Musik, Gadgets, Spiele, Klamotten. Alltagskram eben. Dank der Second Hand-Trendwelle sehen die echten hippen Menschen denen im Film sogar ähnlich.
Unbegreiflicher Hype
Aber, leider: Den Hype kann ich nicht nachvollziehen. Das sind drei tolle Filme (auch wenn beim letzten die Produzenten einiges ein bisschen zu sehr gewollt haben). Dass Zurück in die Zukunft für mich aber eben nicht mehr werden kann als das, liegt an mehreren Dingen.
Ich bin zu alt. Mindestens 10 Jahre älter als Marty. Aus der Jugendkultur, von der der Film so lebt, der jugendlichen Weltsicht, bin ich herausgewachsen. Ich kann mich mit dem Protagonisten nicht identifizieren – und alle anderen Figuren sind nicht zum Identifizieren da, sie sind bloße Statisten, auch der Doc. Erzählt wird ein Abenteuer aus der Sicht eines Jugendlichen, mit allem, was man in dem Alter toll findet. Leider reizen mich wilde Skateboardfahrten, Band-Karrieren und aufgerüstete Autos nicht mehr.
Gleichzeitig bin ich zu jung, denn die 80er habe ich nur noch als Nachwehen in den 90ern gespürt. 1990 war ich drei Jahre alt. Meine Jugend bestand aus Buffalo-Plateaus und Tattoo-Halsketten und Skateboarder trugen keinen engen sondern weite Jeans. Nostalgie greift hier für mich nicht – Kindheit und Jugend in den 80ern ist nichts, woran ich mich zurückerinnern kann.
Ohne den warmen, weichen Nostalgie-Hintergrund, ohne das Gefühl der persönlichen Bedeutung haben die Filme Eigenschaften, wegen derer ich mir nicht sicher bin, ob ich sie noch einmal sehen wollen würde. Platte Nebencharaktere und supersimple Gut-Böse-Konflikte gehören dazu.
Hätte ich den Film vor 10, 12 Jahren gesehen – vielleicht wäre das Gleiche passiert wie mit mir und Star Wars oder mir und Herr der Ringe, oder mir und Lammbock und Donnie Darko oder Dutzenden weiteren Filmen, deren Namen ich gerade nicht parat habe, aber die ich in einem Moment sah, in dem ein Bedeutungsaustausch stattfand, der die Filme für immer zu wichtigen Markern in meinem Gedächtnis macht.
Immerhin kann ich in einem Haufen anderer Filme, die ich bisher gesehen habe oder ab heute sehen werde, plötzlich wieder ein paar mehr Fenster nach außen erkennen. Denn die Leute, die diese Filme machen, tragen Zurück in die Zukunft vielleicht in ihrem Gedächtnis herum und zeigen es in dem, was sie tun. Ich habe seit gestern ein paar Schlüssel mehr, die Fenster zu öffnen.
Bildquellen
- Back to the Future Day: CC-BY-SA 4.0 Rlevente