Zwischen Koitus und Kindererziehung
Ruth Herzbergs zweiter Roman Die aktuelle Situation erzählt eine nicht immer angenehme Geschichte. Die Lektüre aber macht großen Spaß, findet Martin Spieß.
Sie fange jetzt wieder an alles aufzuschreiben, sagt die Erzählerin von Ruth Herzbergs neuem Roman Die aktuelle Situation gleich zu Beginn. Sie habe ja sonst niemanden, der ihr zuhöre. Und – das ist gleich der fünfte Satz des Buchs – sie stehe „ja jetzt mit den Kindern allein da“.
Alleinerziehend in der Pandemie
Nach ihrem glänzend geschriebenen und so tragischen wie komischen Debüt Wie man mit einem Mann unglücklich wird, wendet Ruth Herzbergs Protagonistin in Die aktuelle Situation erneut den Blick nach innen. Diesmal aber ist der Blick forciert: Es ist Pandemie. Sie wird auf sich selbst zurückgeworfen, sie hat plötzlich niemanden mehr, von dem sie ihr Glück abhängig machen kann. Das Virus hindert sie jedoch nicht daran, sich ab und an mit Männern zu treffen und all ihr Sehnen und Hoffen auf sie zu werfen. Herzberg aber fragt nicht nur, was die Isolation mit Liebenden oder Singles macht. Sie erzählt auch und vor allem davon, wie sich die Pandemie als alleinerziehende Mutter anfühlt – und das sehr eindrücklich. Natürlich ist sie auch eine Frau, die sich nach Intimität und Körperlichkeit sehnt, aber es dauert nicht lang, da will sie einfach mal wieder nur ihre Ruhe haben. Der Vater ihrer Kinder ist in Paris: Seine Mutter ist gestorben, er muss sich um den Nachlass kümmern, und dann kann er wegen Covid nicht ausreisen. Und Ruth Herzbergs Protagonistin ist mit den Kindern allein.
Zwischen Liebe und Lockdown
In Zeiten einer Pandemie Künstlerin und Single zu sein, mit Lockdowns und Kontaktverboten, das allein ist schon Herausforderung genug, aber sich um zwei Kinder zu kümmern und zu versuchen, irgendeine Art von Privatleben oder gar Privatsphäre zu haben, das scheint unmöglich. Auf eine Weise aber, so bekommt man bei der Lektüre das Gefühl, hat das auch sein Gutes: Immer wieder von ihren Kindern gefordert zu sein, verhindert, dass die Protagonistin sich zu tief in den Irrgarten ihrer Selbstzweifel und selbstzerstörerischen Gedanken begibt. Vielleicht ist das ein Trost, vermutlich aber nicht. Und Herzbergs Heldin dabei zuzusehen, wie sie den Spagat zwischen Liebe und Lockdown, zwischen Koitus und Kindererziehung zu meistern sucht und dabei immer wieder scheitert, ist ein großer Spaß. Die aktuelle Situation mag für die Ich-Erzählerin keine Freude sein, für die Leser*innen aber ist sie es.